Vorname Jonas ist ein Dokumentarfilm ohne Bild. So bezeichnet Thomas Heise dieses Originaltonhörspiel, das kein Film werden konnte: Heise durfte zu dieser Zeit nicht mehr bei der DEFA arbeiten. Eine Situation, die sich, könnte man behaupten, im Thema des Hörspiels gebrochen wiederfindet: Jonas, die zentrale Figur, sitzt im Gefängnis. Der Grund: asoziales Verhalten, das in der DDR der § 249 regelte. Wer aus "Arbeitsscheu" keiner geregelten Arbeit nachgeht, wird mit einer Haftstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. Offiziell gab es in der DDR freilich keine Arbeitslosigkeit.
Am Anfang des Hörspiels heißt es: "Sich mit dem Fall des zwanzigjährigen Jonas zu beschäftigen ist ein Vorschlag der Abteilung Innere Angelegenheiten des Berliner Stadtbezirks Prenzlauer Berg. Dort beginnt die Wiedereingliederung von Jonas, wenn er wieder draußen ist."
Die Arbeit war für die Rundfunksendung "Die ersten acht Tage" konzipiert, die ersten Tage von Jonas in der Freiheit sollten ihr Thema sein. Die Aufgabenstellung bietet Heise - ähnlich wie in Volkspolizei oder Das Haus - Gelegenheit, institutionelle Abläufe, die dem gemeinen Bürger höchstens als Betroffenen transparent werden, mitzuverfolgen. Aus acht Tagen wurde jedoch ein dreiviertel Jahr. Das fertige Hörspiel wurde abgelehnt, es sei zu lang, hieß es bei der Abnahme. Das 30 Stunden lange Material, das zum Löschen freigegeben wurde, "sicherte" Heise durch Diebstahl. Erst zum 40. Jahrestag der DDR, kurz vor der Wende, kam es zur Uraufführung.
Heise nähert sich Jonas über seine Umwelt, über die Menschen, die für ihn und seine Geschichte wichtig sind: die Eltern, seine beiden Brüder Ralph und Jonny sowie Freundin Manuela. Großstadtgeräusche, "The Lion Sleeps Tonight", später tauchen auch noch Songs von den Beatles im Hörspiel auf - eine Anbindung an die westliche Gegenkultur, an die Rebellion einer anderen Generation?
Die Zeit, die es noch braucht, bis Jonas aus der einjährigen Haft entlassen wird, nutzt Heise dazu, dessen Vorgeschichte einzuholen - das Medium dafür sind Interviews mit seinen Verwandten und die Briefe, die er aus der Haft schreibt. Da finden sich Sätze, die eine große Sensibilität verraten, für die "runtergekommene Typen" - solche also wie er selbst: "Hast du Dich schon mal ernsthaft gefragt, warum sie so sind?", schreibt er Manuela. Viel später heißt es mal, im Amt für Arbeit, daß "irgendwo ein Fehler passiert sei". Im Falle von Jonas fällt es schwer, diesen Moment zu benennen. Jonas hat irgendwann angefangen, die Schule zu schwänzen, er war im Heim, wo er von seinen Eltern kaum besucht wurde. Ist das ein Grund, das Elternhaus?
Es scheint eher so, daß es sich um die diffuse Angst einer ganzen Generation handelt... Heise bleibt jedoch unpsychologisch, er (re)konstruiert die Existenz eines Menschen aus dem Material, das er vorfindet. Sein Kommentar ist stets um Sachlichkeit bemüht.
Dann wird Jonas entlassen, und es dauert eine Zeit, bis er sich auf den hartnäckigen Reporter Heise einzulassen beginnt. Die Montage der Aussagen und Briefe von Privatpersonen weicht einem vergleichsweise linearen Prozeß: Jonas' Versuch einer Wiedereingliederung. Zum Bezirksrat, bei dem er sich melden sollte, und zum Vorstellungsgespräch im Fleischkombinat kommt er zu spät: "Ich war draußen und dann war gut." Man schickt ihn zur medizinischen Untersuchung. In der DDR konnte sich ein Betrieb nicht weigern, ein staatlich arrangiertes Arbeitsverhältnis anzunehmen. Es sei denn, daß sich bei der Untersuchung herausstellt, daß man der Arbeit nicht gewachsen sei. Jonas wird ein Wirbelsäulenschaden diagnostiziert.
Das Gespräch zwischen einem Mitarbeiter des Arbeitsamtes und Jonas ist der Kulminationspunkt des Hörspiels: Hier wird die Situation greifbar. Jonas ist willens, den "geraden Weg zu gehen". Man bietet ihm jedoch nur eine Pauschalarbeit bei der Stadtreinigung an. Wichtiger aber ist, daß an dieser Stelle Einstellungen und Anschauungen nachvollziehbar werden - wenn der Mitarbeiter gegenüber Jonas' pessimistischer Einschätzung seiner Möglichkeiten zunehmend hilfloser wirkt und sich in Floskeln flüchtet. Die Kontrolle ist - drinnen wie draußen - wirksam. Sie hat den Effekt eines Aufschubs, Jonas' Leben wird verwaltet, aber das funktioniert nicht. Der bürokratische Vollzug ist der Arbeitsbeschaffung hinderlich - Jonas findet eine Stelle aus eigener Initiative, die er aber nicht annehmen darf, bevor das Amt sein Einverständnis gibt. Dann kriegt er sie doch, geht aber bald nicht mehr hin. Quelle: Kinoreal
Originaltonhörspiel, Länge: 60 min
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Details
- Regie
- Thomas Heise