Vida en Falcon / Living in a Falcon

Argentinien , 2005

Min. 68
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Winter in Buenos Aires, klimatisch wie ökonomisch. Und kein Schnee, der die soziale Kälte in euphemistische Romantik tauchen könnte. Seit 2001, als nicht eine Firma, nicht eine Fabrik, sondern ein ganzes Land in Konkurs gehen musste, hat sich für viele vieles geändert, schleichend und doch wie ein Keulenschlag. Plötzlich waren die Banken gesperrt, Hunderttausende ohne Arbeit, Pensionisten ohne Pension, Millionen Menschen ohne Zukunftsperspektive, die Mittelschicht der kleinen Unternehmer zu Bettlern degradiert. Mit sanfter Ironie erinnert der 34-jährige argentinische Regisseur Jorge Gaggero am Anfang von Vida en Falcon mit einem schwarzweißen Werbekurzfilm aus den 60er Jahren an die Zeit, die Hoffnung versprach: auf ein Auto für sechs Passagiere; wenn sich dessen Motorhaube öffnete, sangen Engelschöre. Der Ford Falcon («Falke») wurde bis in die frühen 90er Jahre in Argentinien produziert, als er in den USA bei den Ford-Mechanikern längst schon in Vergessenheit geraten war. Aber für Argentinien bedeutete er jahrzehntelang Prestige, geborgte Fortschrittsgläubigkeit, geboren aus einer Verflechtung von Minderwertigkeitskomplexen und Überheblichkeiten. Der 55-jährige Orlando hat sich für ein Leben im Falcon, nicht weit entfernt von seinem früheren Leben, seiner Frau und seinem Haus, entschieden. Überlebensneutral. Das karge Mahl von einem Gaskocher teilt er mit Katzen, einem Wellensittich oder wem auch immer. Wie Luis: Er kann sein Auto nicht einmal fahren, aber er hat ein Dach über dem Kopf; Leben im Freien kann doch schön sein. Und doch sehr unfrei da hilft kein Schönreden des Elends. So leben sie dahin, Orlando und Luis. Und die Zeit vergeht, man wird älter, versucht zu retten, was zu retten ist, und stirbt sehr, sehr langsam. «Es war einmal» so beginnen Märchen, an die auch viele Argentinier glaubten. Orlando und Luis widerstehen dem Albtraum des Märchens, rasieren sich und ziehen sich warm an, in kalten Zeiten, als ob es eine Zukunft gäbe. Luis hat aufgegeben, Orlando nicht und mit ihm sein Falcon , ohne einen Gedanken zu verschwenden, dass gerade dieses Auto für immer im Bewusstsein Argentiniens als ein Emblem der Diktatur von 19761983 bleiben wird, als Emblem der staatlichen Todesschwadronen, das nicht Hoffnung, sondern nur Warnung sein kann. (Otto Reiter)

(Text: Viennale 2005)

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