TROMMELN BIS DAS BLUT FLIESST

Mit diesem Film des jungen Regisseurs Damien Chazelle bekommen wir eine Drum-Session der Extraklasse geboten: hier baut sich auf allen Ebenen sofort ein Rhythmus auf, der uns gefangen nimmt und die Zeit vergessen lässt. Die 100 Filmminuten wirken wie ein intensives Trommelsolo, das uns den Schweiß auf die Stirn treibt - wofür nicht nur die großartige Musik, sondern vor allem die zwei herausragenden Hauptdarsteller verantwortlich sind.

J.K. Simmons ist schlichtweg eine darstellerische Naturgewalt. Dabei teilt er ein ähnliches Schicksal mit Bryan Cranston: nach langen Jahren im Schauspielgeschäft schafft er erst im höheren Alten den großen Durchbruch dank einer Rolle, mit der sein Name untrennbar verbunden bleiben wird. Auch sein drei Jahrzehnte jüngerer Kollege Miles Teller hat sich hier nichts geschenkt: er trommelt selber und wir erfahren, was für ein Knochenjob das sein kann, bei dem die Hände buchstäblich in Fetzen gehen. Eine Packung Heftpflaster ist gerade ausreichend, um all die Schrammen, Schwielen und Schrunden auf den Handflächen zu versorgen und nach einer heißen Session ist die Trommelbespannung rot gesprenkelt.

Der 19jährige Andrew (Miles Teller) träumt von einer großen Karriere als Drummer und seine Stunde scheint gekommen, als ihn an einer angesehenen Musikschule der legendäre Bandleader Fletcher (J.K. Simmons) unter seine Fittiche nimmt. Dieses Erlebnis ist aber nur etwas für die ganz Harten, denn der Lehrer benimmt sich, als wäre er einer der größten Mistkerle, die jemals einen Fuß auf unsere Erde gesetzt haben. Im Dienst der Musik führt er sich als Riesenarschloch auf: kaum hat er sich zuvorkommend über die Familienverhältnisse des Neulings erkundigt, nutzt er dieses Wissen schamlos in der nächsten Übungsstunde aus, um ihn vor den versammelten Bandmitgliedern gnadenlos zu erniedrigen. Er liebt es, die Musiker gegeneinander auszuspielen und schreckt auch vor Handgreiflichkeiten wie Ohrfeigen oder Wurfattacken mit schweren Gegenständen nicht zurück. In einigen Momenten wirkt er sogar wie ein Vampir, als sich im Halbdunkel das Licht auf seiner Glatze spiegelt und seine großen abstehenden Ohren rötlich durchglüht.

Andererseits kann Fletcher aber auch von zuvorkommender Herzlichkeit sein und beim Sprechen über einen verunglückten ehemaligen Schüler lässt er seinen Tränen freien Lauf. In einem der seltenen zugänglichen Momente offenbart er seine Überzeugung, dass „Gut gemacht“ die beiden schädlichsten Worte unserer Sprache seien; statt dessen muss jeder Schüler bis an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit und darüber hinaus getrieben werden. Doch selbst dieser Freundlichkeit ist nicht zu trauen, denn es ist durchaus möglich, dass er sein so in Sicherheit gewiegtes Opfer bei der nächsten Gelegenheit ins offene Messer laufen lässt. Kein Wunder, wenn manch einer diesen fortgesetzten Schikanen nicht gewachsen ist und als letzten Ausweg den Selbstmord wählt.

Bei Andrew ist der Lehrer jedoch an den Richtigen gekommen: An Ehrgeiz mangelt es dem Jungen wahrlich nicht und er käme noch auf allen Vieren zu einem Vorspielen angekrochen, nachdem sein Wagen von einem LKW durch die Luft gewirbelt wurde (eine Szene wird sich tatsächlich so ähnlich zutragen); und so entsteht zwischen Fletcher und Andrew ein Kräftemessen, das einem atemberaubenden, blut- und schweißtreibenden Höhepunkt auf einer Bühne zusteuert.

Hier bekommen wir Musik zu hören, die unter die Haut geht, und selbst wer auf Jazz bisher allergisch reagiert hat, wird sich diesen hingebungsvollen Darbietungen nicht entziehen können. Selten zuvor wurde im Dienst der Perfektion so hingebungsvoll gelitten: „Wiplash“ ist ein musikalisch-sadistisches Meisterwerk, dessen Ruhm man gar nicht laut genug hinaustrommeln kann. 10 von 10 schweißgetränkten Drumsticks.