Dantes Inferno liegt in Tiexi, einem Bezirk der chinesischen Stadt Shengyang. Dort gibt es ein Zentrum für Schwerindustrie, das so groß ist, dass vier Eisenbahnlinien die Waren von einem Ort zum andern schaffen. Die ersten Produktionsstätten wurden 1934 von den Japanern gegründet. In den 50er Jahren hat man ständig erweitert. Ende der 90er Jahre gingen die Werke Pleite. Wang Bing hat zwei Jahre lang das Ende der Fabriken gefilmt. Wir sehen den letzten Arbeitern beim Stahlkochen zu, gehen mit ihnen in die Dusche, frühstücken, laden Zinksäcke aus, fahren mit dem Zug die zum Teil schon stillgelegten Werke ab, frieren mit den Arbeitslosen, die versuchen, Kohlen zu stehlen und weinen mit dem Jungen, dessen Vater im Gefängnis landet. Es gibt einen Moment in dem Film, an dem man sich wünscht, Wang Bing würde Fragen stellen: Warum geht das Werk Pleite, wer hat das zu verantworten, wer profitiert davon, dass den Arbeitern der Lohn nicht mehr ausgezahlt wird? Doch nach einer Weile ist das nicht mehr wichtig. Wer gesehen hat, wie Menschen ohne jeden Schutz an einem Stahlofen arbeiten, wie sie den Zinkstaub von ihrer Haut abklopfen und in diesen unvorstellbar heruntergekommenen finsteren Räumen essen, der kann, als das Werk endlich ganz stillgelegt ist, nur denken: Gott sei Dank. Die Arbeiter sehen das nicht so. Ihre Verzweiflung über die drohende Arbeitslosigkeit ist jenseits aller Beschreibung. Einige von ihnen sind noch nicht mal 40, und ihr Leben ist schon zu Ende. Später sind wir in einem der werkseigenen Sanatorien und sehen, wie ein Toter aus einem Teich geborgen wird. Er hat sich ertränkt. Die Arbeiter vermuten, dass die Verwaltung gesagt hat: Wenn wir das Sanatorium nicht bezahlen müssen, können wir deiner Familie eine Rente zahlen. Wang Bing hat die Brutalität des Niedergangs mit schier unerträglicher Genauigkeit festgehalten. Hoffnung, dass es irgendwo anders besser sein könnte, hat hier niemand. Ein Mann erzählt, er sei während der Kulturrevolution aufgewachsen. Jetzt ist er vielleicht Ende 30. Er hat keine Ausbildung, keine Beziehungen. «Dass es so schnell zu Ende ist», sagt er. Man muss nicht Chinesisch verstehen, um zu hören, dass dieser Mann sich aufgegeben hat. (Anja Seeliger)
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