The Punisher: Brutaler Anti-Held ohne Superhero-Feeling
Frank Castle, bekannt als "The Punisher", ist wie "Batman" kein Superheld im eigentlichen Sinne. Er hat keine Superkräfte, sondern wird durch seine Traumatisierung – dem Verlust seiner Familie – zu schier übermenschlichen Handlungen getrieben. Das Heldentum des "Punishers" war (anders als bei Batman) immer fragwürdig. Sein Markenzeichen, sozusagen seine Superkraft, ist der skrupellose Einsatz von Gewalt (bis hin zu Folter und Tod für die Bösen), wenn es darum geht, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Der Zweck heiligt die Mittel.
Kriegsveteranen-Drama
Netflix arbeitet in "The Punisher" die Traumatisierung von Frank Castle akribisch heraus – und zwar in Form eines typischen US-Kriegsveteranen-Dramas. Castle wird vom Verlust seiner Liebsten getrieben. Doch wie sich herausstellt, stehen die Drahtzieher des Anschlages auf seine Familie mit seiner militärischen Vergangenheit in Afghanistan in Verbindung. Mit der Homeland Security Agentin Dinah Madani wird eine Figur eingeführt, die ähnlich wie Carrie Mathison in "Homeland" aus persönlichen Gründen auf die Aufklärung eines Falles fixiert ist. Wie üblich nimmt sich Netflix wieder viel Zeit, um den Charakteren Tiefe zu geben. Wie bei fast allen Marvel-Serien entsteht dabei das Gefühl, die Geschichte hätte auch in 8 oder 10 statt 13 Episoden erzählt werden können.
Diesmal entsteht aber auch der Eindruck, dass Netflix das bekannte Marvel-Franchise hauptsächlich dazu nützt, um sich von den zahlreichen TV-Serien in diesem Themensegment zu unterscheiden. Krimis im Umfeld militärischer Spezialeinheiten und Dramen, in deren Mittelpunkt die Posttraumatische Belastungsstörung heimkehrender Soldaten steht, haben zurzeit in den USA Hochsaison. Hier bietet die Handlung – außer brutale Gewalt und ein spektakuläres Action-Finale - wenig Neues und bleibt recht vorhersehbar.
Kaum Superhelden-Feeling
Aus Sicht des Superhelden-Genres stellt sich die Frage: Ist der Zusatz von Gewalt (wie zuletzt auch im Kino bei "Logan" gesehen) schon das viel zitierte "Erwachsenwerden" des Superheldenfilms? Ist mehr Realismus UND mehr Gewalt wirklich eine Weiterentwicklung oder der Anfang vom Ende des Genres? Denn das größte Manko aus Sicht eines Superhelden-Fans ist, dass hier kaum mehr Superhelden-Feeling aufkommt. Nicht nur, weil der Mann die meiste Zeit völlig kostümbefreit herumläuft. Es liegt paradoxerweise auch am Realismus der Serie. Die Verschwörung und die brutale Gewalt der Serie wirkt über weite Strecken kaum übertrieben. Das mag an Serien wie "24" und "Homeland" liegen, die uns das alles schon längst als die Welt verkauf haben, in der wir alle leben. Es könnte auch daran liegen, dass nach über einem Jahrzehnt medialem Alarmismus nur noch überhöhte Bedrohungen durch übermenschliche Superschurken oder Endzeit-Szenarien als unrealtistisch durchgehen.
In "The Punisher" fehlen überhöhte Bedrohungen durch Superschurken weitgehend. Es gibt bis zum Showdown kaum episch eindeutig hochstilisierten Szenen wie etwa die Gefängnis-Szene des Punishers in der zweiten Staffel von Daredevil. Aber selbst im Berserker-Finale ist Frank Castle näher an Rambo und John McClane als an Daredevil, Batman oder anderen Superhelden. Der knallharte Realismus lässt wenig Raum, um die Gewalt als Metapher eines Genres zu interpretieren, das letztlich den epischen Kampf zwischen Gut und Böse zu einem körperlichen Kampf "Mann gegen Mann" und damit Gewalt als die ultimative Form der Konfliktbewältigung hochstilisiert. Der Anti-Held Frank Castle kippt aus dem interpretativen Rahmen der Superhelden-Fantasy und landet mitten in der Realität, weil das Genre bestimmende Stilmittel fehlt. "The Punisher" ist vieles: Covert-Ops-Krimi, Kriegsveteranendrama, Actionfilm. Vom Superhelden bleibt nicht viel übrig. Aber wie eingangs gesagt: Castle ist ja eigentlich kein Superheld.
Erwin Schotzger