"The Florida Project": Märchenwelt im Billig-Motel
Die fünfjährige Moonee (Brooklyn Prince) lebt gemeinsam mit ihrer Mutter Haley (Bria Vinaite) in einem billigen Motel neben Disney World. Die Türen der Märchenwelt bleiben für sie zwar geschlossen, doch mit ihren Freunden aus der Nachbarschaft findet sie Wege, um die Langweile zu vertreiben. Für Recht und Ordnung in dem von gesellschaftlichen Außenseitern bewohnten Motel, sorgt Hausmeister Bobby ( Willem Dafoe). Neben dem Instandhalten der Wohnanlage und dem Eintreiben der Miete, ist er auch eine Vaterfigur für die Kinder und deren junge Mütter.
Zwischen Realität und Fiktion
Schon ab der ersten Sekunde fällt es einem schwer, bei „The Florida Project“ zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden. Die Dokumentarfilmästhetik gepaart mit brillanten Laiendarstellern suggeriert eine Unmittelbarkeit in den Handlungen der Figuren, die man selten so auf der großen Leinwand gesehen hat. Umso beachtlicher ist die Tatsache, dass Regisseur, Drehbuchautor und Schnittmeister Sean Baker alles im vornhinein geschrieben und sich bei den Dreharbeiten minutiös ans Drehbuch gehalten hat.
Märchenschloss
Das Drama zeichnet sich vor allem durch die märchenhafte Kulisse und dem tollen Cast aus. Das „Magic Castle“ will zwar den Anschein vom Abenteuerurlaub für die ganze Familie aufrecht erhalten, doch gleicht inzwischen mehr einer Sozialhilfeeinrichtung als einem Hotel. Mit großer Leichtigkeit thematisiert Baker die Probleme, mit denen arme Menschen in den USA zu kämpfen haben. In ihrem täglichen Existenzkampf kann es sich Haley nicht leisten, Schwäche oder Scham zu zeigen, sie muss wöchentlich ihre Miete bezahlen, auch wenn sie dafür Gesetze brechen muss.
Willem Dafoe
Sean Baker wurde auf Bria Vinaite durch ein Instagram-Foto aufmerksam. Er nahm ihr Foto als Grundlage um den Casting Agenten einen Typ vorzugeben nach dem sie Ausschau halten sollten. Nachdem Baker mit den Castings nicht zufrieden war, sendete er Vinaite eine Privatnachricht auf Instagram. Nach anfänglichem Zögern, beschloss die volltätowierte 23jährige, sich mit Baker zu treffen. Ihre Tochter wird von der inzwischen siebenjährigen Boorklyn Prince gespielt, die ihre Mutter mehr für eine Freundin als für eine Autoritätsperson hält. Trotz der zahlreichen Laiendarsteller gibt es auch ein bekanntes Gesicht in „The Florida Project“ zu sehen. Willem Dafoe, der in der breiten Öffentlichkeit vor allem für seine Rolle des Green Goblin in "Spider-Man" bekannt ist, scheut auch hier kein Risiko. Der wandelbare Darsteller arbeitete schon mit namhaften Regisseuren wie Lars von Trier, Wes Anderson oder David Cronenberg zusammen und nutzt seine Bekanntheit, um junge Filmemacher zu unterstützen. Bei den 90. Oscar-Verleihungen war er der einzige aus dem „The Florida Project“-Team, der für einen Preis nominiert war. Er verhalf dem Drama zu einem breiteren Publikum und rückte somit einen besonderen Film in die mediale Aufmerksamkeit.
Malerisch
Der stille Star von „The Florida Project“ ist jedoch Kameramann Alexis Zabé. Der Mexikaner machte das erste Mal auf sich mit seinen atemberaubenden Bildern in den Filmen von Carlos Reygadas aufmerksam und gehört inzwischen zu den gefragtesten Kameramännern der Welt. Seine visuelle Handschrift ist auch hier ganz klar zu erkennen und gibt der Erzählung einen formalen Rahmen, der weit über das Geschichtenerzählen hinausgeht. Ein visueller Künstler, der uns immer wieder zum Staunen bringt.
„The Florida Project“ ist eine berührende Geschichte über einen Sommer voller Abenteuer und Gefahren. Ein kleiner Film mit großer Wirkung.
9 von 10 Selfies
Özgür Anil