"The End of the F***ing World": Bonnie & Clyde auf Coming-of-Age-Trip
Bevor du dich selbst als Psychopathen diagnostizierst, stelle sicher, dass du nicht einfach nur von Arschlöchern umgeben bist. So oder ähnlich soll das Sigmund Freud einmal gesagt haben. Und so könnte man den Roadtrip zusammenfassen, dem sich der demnächst 18-jährige James mit seiner Freundin Alyssa hingibt. James (Alex Lawther) sieht aus wie 15 und ist nicht die aktivste Person, die man sich vorstellen kann. Er treibt durch sein trostloses Leben ohne jede Gefühlsregung – naja, nicht ganz ohne: Immerhin würde er immer wieder gerne seinem Vater einen Faustschlag ins Gesicht verpassen. Und er tötet gerne Tiere. Auf den ersten Blick stößt seine Selbstdiagnose "Ich glaube, ich bin ein Psychopath" auf wenig Widerspruch.
Alyssa (Jessica Barden) ist da ganz anders – auf den Aktivitätslevel bezogen. Sie schockiert gerne und tut dies vor allem durch Sex. Mit ihren verbalen und sexuellen Provokationen schießt die 17-jährige Jungfrau öfters übers Ziel hinaus und bringt sich selbst in Schwierigkeiten. Das würde sie aber nie zugeben. Ihren coolen Auftritt hält sie für ihr wichtigstes Schutzschild.
Die Reise von James und Alyssa in der Netflix-Serie "The End of the F***ing World" beginnt damit, dass sich die Wege der beiden kreuzen. Die extrovertierte Alyssa beschließt, dass sie sich in den introvertierten James verlieben könnte. Surprise, Surprise! Und er hat ein Auto. James beschließt, dass er mitspielt. Und er will endlich einmal etwas Größeres töten.
Sie will mit ihm durchbrennen, er will ihr die Kehle aufschlitzen. So weit, so gut.
Schon am Ende der ersten Episode sind die beiden mit dem Auto von James' Vater "on the road to nowhere". James hat endlich seinem Vater eine reingehauen und ist auf bestem Weg sich seinen zweiten Wunschtraum zu erfüllen. Doch John Lennon soll ja schon gesagt haben: Das Leben ist das, was passiert, während du damit beschäftigt bist, andere Pläne zu schmieden.
"The End of the F***ing World" erfindet weder das Coming-of-Age-Drama noch das Road-Movie neu. Im Gegenteil: Die Dramaturgie und Bildwelt nimmt zahlreiche Anleihen bei Kinofilmen wie "Natural Born Killers" und wirkt teilweise comic-haft – was nicht weiter verwundern sollte, weil es sich tatsächlich um eine Comic-Verfilmung handelt. Es überrascht nicht, dass Serien-Schöpfer und Regisseur Jonathan Entwistle bisher vor allem Musik- und Werbevideos gedreht hat. Der melancholische Soundtrack spielt mit dem 20-Minuten-Format der TV-Serie perfekt zusammen. Und die Story kann mit einigen ganz und gar nicht alltäglichen Zufällen aufwarten, die suggerieren: So durchgeknallt sind die Kids ja gar nicht. Und außerdem: Am Ende sind ja sowieso immer die Eltern schuld. So viel zu den Genre-Klischees.
Der schleichende Bruch mit diesen Klischees im Laufe des Roadtrips von James und Alyssa macht "The End of the F***ing World" auch für den Zuschauer zu einer spannenden Reise. Dabei machen James und Alyssa natürlich Fehler. Aber immerhin haben sie eine riskante Entscheidung getroffen: Sie wollen ihr Leben ändern. Freilich wissen sie nicht genau wie. Sie tun es einfach ohne Rücksicht auf Verluste. Aber welche Alternativen haben sie? So armselig ist der Mensch, wenn er nichts will, als am Leben zu bleiben. Hat Freud gesagt. Und ist es nicht die Möglichkeit, Lebensentscheidungen zu treffen, die Erwachsene von Kindern unterscheidet? Freilich haben diese Entscheidungen oft unangenehme und unvorhergesehene Konsequenzen. So auch in diesem Fall.
Leider kippt "The End of the F***ing World" am Ende wieder in den Fatalismus der "Bonnie & Clyde"-Inszenierung. Es scheint keinen Ausweg zu geben. Die Erkenntnis, dass die Welt nicht ganz so schnell untergeht wie sich das ein Teenager gemeinhin vorstellt, wäre in diesem Fall eine überraschende Wendung gewesen. Aber nicht ganz so cool.