Ecstasy of the Angels

Ecstasy of the Angels

Tenshi no kôkotsu J , 1972

Wakamatsu ist so etwas wie der Godard des Genres, zu sex & crime kommen bei ihm radikale Politik und formale Experimentierfreudigkeit.

Ecstasy of the Angels
Min. 88
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Von allen ATG-Filmen, die oft genug für Skandale sorgten, ist Tenshi no kôkotsu zweifellos jener, der die größten Probleme verursachte. Der Film handelt vom bewaffneten Kampf einer revolutionären linksradikalen Gruppe, und man warf ihm in einer Pressekampagne vor, den zu Beginn der 70er Jahre eskalierenden bewaffneten Kampf und den Bombenterror zu verherrlichen. Der Film war nicht nur dem Druck der Polizei, sondern auch dem des Verbandes der Kinobetreiber und der lokalen Vereinigung der Gewerbetreibenden ausgesetzt. Er kam trotz vorgesehenen landesweiten Kinostarts nur in einem Kino, dem Shinjuku Bunka, zur Aufführung. Wakamatsu Kôji, Pionier des pink eiga, hatte seit den Anfängen des Genres zahlreiche Filme gedreht; über seine Fangemeinde hinaus bekannt wurde er aber erst mit dem Film Kabe no naka no himegoto (Secret within Walls), der 1965 als offizieller japanischer Beitrag bei der Berlinale gezeigt wurde. Die japanischen Studios protestierten entrüstet gegen die Einladung, und in der japanischen Presse wurde der Film als «nationale Schande» diffamiert. Das Medienecho verhalf Wakamatsu zu Bekanntheit und begründete seinen Ruf als Enfant terrible. Er gründete 1966 seine eigene Produktionsgesellschaft, sicherte sich die Zusammenarbeit junger Talente wie Yamatoya Atsushi und des durch seine Studentenfilme bereits zu Bekanntheit gelangten Adachi Masao und schuf mit ihnen Filme wie Taiji ga mitsuryô suru toki (The Embryo Hunts in Secret, 1966), Okasareta byakui (Violated Angels in White, 1967), Shojo geba geba (Gewalt! Gewalt!, 1968) und Yuke, yuke nidome no shojo (Go, Go, Second Time Virgin, 1969), die an Radikalität immer mehr zulegten und für Aufregung sorgten. Nicht nur in den pink-eiga-Kinos sorgten die Filme für volles Haus, auch die Wakamatsu-Programme im Sasori-za von ATG brachen alle Besucherrekorde und festigten Wakamatsus Ruf als Meister des Sexploitation- und Underground-Films. Darüber hinaus fand er als Repräsentant der 68er-Bewegung eine kultische Anhängerschaft und übte neben Ôshima Nagisa einen großen Einfluss auf die Studentenbewegung aus. Wakamatsu Production war ein wichtiger Ort des Gedankenaustauschs und Treffpunkt für Künstler unterschiedlicher Bereiche, von bildender Kunst und Theater bis hin zu Musik, Design und selbstverständlich Film. 1971 wurde Wakamatsus Film Seizoku (Sex Jack, 1970), der auf der Entführung einer JAL-Maschine durch Mitglieder der Japanischen Rote Armee Fraktion nach Nordkorea im März 1970 basiert, in Cannes in der Reihe Quinzaine des Réalisateurs gezeigt. Danach reisten Wakamatsu und Adachi in den Libanon, wo sie in Zusammenarbeit mit der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und der im Libanon untergetauchten Japanischen Roten Armee (Nihon sekigun) den News-Film Sekigun PFLP. Sekai sensô sengen (Red Army PFLP: Declaration of World War) drehten, der den Alltag der palästinensischen Guerilla dokumentierte und zur Weltrevolution aufrief. Der kurz Aka-P genannte Film wurde in Japan abseits aller etablierten Distributions- und Aufführungskanäle von einer zu diesem Zweck gegründeten mobilen Aufführungseinheit, die mit einem roten Bus durchs Land zog, an Universitäten und in öffentlichen Einrichtungen zur Aufführung gebracht. Während dieser Zeit entstand nach Adachis Drehbuch der Film Tenshi no kôkotsu. Es geht um die revolutionäre Organisation «Vier Jahreszeiten», die Angriffe auf Ziele in der Hauptstadt plant. Die Gruppe «Oktober» soll zu diesem Zweck das Waffenlager einer US-Militärbasis plündern, doch wird sie von der Organisation verraten. Die Aktivisten geben jedoch nicht auf, sondern setzen den Kampf auf eigene Faust fort. Die Organisationsform der «Vier Jahreszeiten» geht auf die Société des Saisons des französischen Revolutionärs Louis Auguste Blanqui zurück und ist keineswegs neu. Wakamatsu und Adachi interessieren sich aber weniger für die Organisation als vielmehr für die namenlosen Einzelkämpfer, die, selbst als sie von ihrer Organisation im Stich gelassen werden, den revolutionären Kampf fortsetzen. In der Schlussszene, in der der «Oktober»-Gruppenführer Bomben werfend durch die Straßen von Shinjuku läuft, verschmilzt der Blick des Protagonisten mit dem der Kamera. Sie fixiert Straßenzüge und präsentiert die alltägliche Landschaft als Objekt nicht einer militärischen, sondern einer allgemeinen Zerstörung. Gleichzeitig ist es ein Versuch, die von Adachi Masao mit ausgearbeitete Landschaftstheorie (fûkeiron) umzusetzen und das «Gedächtnis des Bodens» an die Massenproteste anlässlich der Antikriegstage am 21. Oktober 1968 und 1969, an denen Shinjuku von den Massen im wahrsten Sinne des Wortes in einen Kriegsschauplatz verwandelt wurde, wachzurufen. Während die zenkyôtô, der Kern der Studentenbewegung, in den 70er Jahren an Unterstützung verlor und degenerierte, nahmen radikale Gruppen wie die Rote Armee Fraktion (sekigunha) den bewaffneten Kampf auf. 1972 kam es zum Rengô-Sekigun-Zwischenfall, bei dem in einer Spirale der Gewalt zwölf Mitglieder der Vereinigten Roten Armee (rengô sekigun) von ihren Mitstreitern ermordet wurden, und zum Asama-Sansô-Zwischenfall, bei dem sich Mitglieder der Vereinigten Roten Armee ein mehrtägiges Gefecht mit der Polizei lieferten. Tenshi no kôkotsu kam kurz danach ins Kino, zu einer Zeit, als der bewaffnete Kampf mit den Anschlägen von radikalen Anarchisten, der so genannten Schwarzhelm-Fraktion, seinen Höhepunkt erreichte. Bei einem dieser Anschläge, dem so genannten Christmas-Tree Bombing, wurde am Weihnachtstag 1971 eine Polizeistation in Shinjuku in die Luft gesprengt, auf die auch im Film ein Bombenanschlag verübt wird. Die Diskussion um Tenshi no kôkotsu und Aka-P, sowie allgemein über die Filme von Wakamatsu und Adachi, konzentriert sich hauptsächlich auf die Zusammenhänge mit der Roten Armee Fraktion bzw. der Japanischen Roten Armee. Kaum jemand hat bisher den Versuch unternommen, sich mit Form und Inhalt der Filme genauer auseinanderzusetzen. Dabei gelingt es den beiden in ihren Filmen immer wieder, genau das darzustellen, was bei einer solch schematischen Lesart in der Regel unter den Tisch fällt. Wakamatsus Filme sorgten aufgrund ihrer radikalen Themen immer wieder für Skandale, sie forderten jedoch stets auch das kritische Bewusstsein heraus. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Jahr 1968 aus globaler Perspektive müsste sich, wie es seinerzeit ein Teil der japanischen Filmkritik versucht hat, nicht nur mit Ôshima Nagisa beschäftigen, sondern vielmehr mit einer Neubewertung der Rollen von Wakamatsu und Adachi beginnen. Anmerkungen am Rande: Die Musik stammt vom Yamashita Yôsuke Trio, den Pionieren des japanischen Free Jazz, die Stills von Nakahira Takuma, der zur Zeit wiederentdeckt wird. Wakô Haruo, der im Film einen der revolutionären Kämpfer darstellt, steht zur Zeit wegen seiner Beteiligung an einem Anschlag auf eine US-Militärbasis vor Gericht. Vom Drehbuch gibt es drei Fassungen: Tenshi wa kechi de aru (Stingy Angels), Tenshi no bakusatsu (Bomb Killing of the Angels) und Tenshi no kôkotsu. (Hirasawa Gô)

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