"Suspiria": Im Hexenhaus tanzen, bis die Knochen brechen
Dario "Suspiria" von 1977 gilt als absolutes Meisterwerk im Horror-Genre: ein Alptraum in Technicolor mit unvergesslichen Bildern zur suggestiv-unheimlichen Musik der Prog-Rock-Band "Goblin". Deshalb wurde die Ankündigung des Italieners Luca Guadagnino ("Call Me by Your Name"), ein Remake davon zu machen, von Fans sehr skeptisch aufgenommen. Inzwischen weiß man: die bösen Vorahnungen waren zum Glück unberechtigt. Argentos jüngerer Regiekollege hat aus dem Stoff - junge Amerikanerin kommt in eine deutsche Tanzschule, die von unheimlichen Frauen geleitet wird - ein vollkommen eigenständiges Werk geschaffen.
Vergleich mit Argento
Trotzdem drängen sich Vergleiche mit dem Original auf – wie zum Beispiel dieser: Gute Schauspielführung oder eine überzeugende Handlung hatten noch nie zu Argentos Stärken gezählt, sondern seine Filme lebten von der experimentierfreudigen Kameraführung, perfekten Settings, überirdisch leuchtenden Farben, spektakulär inszenierten Morden und dem Erzeugen traumatischer Stimmungen. All das will Guadagnino nun nicht etwa nachahmen, sondern versucht im Kontrast zu seinem Vorgänger mit ganz anderen Vorzügen zu punkten. Argento erzählte ein zeitloses Hexenmärchen aus dem Schwarzwald, das nur zufällig im Deutschland der 70er Jahre spielt. Guadagnino hingegen hat seinen Film mit Zeitbezügen förmlich aufgeladen und die Handlung vom beschaulichen Süddeutschland in eine nördliche Metropole verlegt: statt in Freiburg steht die Tanzschule jetzt im geteilten Berlin von 1977 direkt neben der Mauer und verbreitet selbst im Westen einen tristen Ostblock-Charme; die Rote Armee Fraktion (RAF) hat deutliche Zeichen gesetzt, und auch die braune Vergangenheit des Landes macht sich noch allenthalben bemerkbar.
Überfrachtung
Diese thematische Anreicherung erzeugt aber leider sehr schnell den Eindruck von Überfrachtung – worauf auch die Spieldauer von 152 Minuten hindeutet. Wenn man sich im alten „Suspiria“ wie auf einem Drogentrip fühlte, stellt sich beim neuen eher das Gefühl ein, gerade ein Seminar über Psychoanalyse oder über Zeitgeschichte zum Deutschen Herbst (Stichworte: Baader-Meinhof, Landshut, Martin Schleyer, Stammheim) besucht zu haben, unter Zugabe von etwas Orgien-Mysterienkult und politisch-magischen Machtkämpfen. Die Leiterinnen der Tanzschule stehen nämlich mit ganz speziellen unterirdischen Mächten im Bunde und trotzdem herrscht Uneinigkeit zwischen ihnen, was sich in einem sehr blutigen Finale deutlich zeigt.
Mütter-Trilogie
Guadagnino hat sich übrigens nicht allein auf „Suspiria“ konzentriert, sondern überhaupt Motive aus Argentos sogenannter „Mütter-Trilogie“ verwendet. Es gibt drei dieser teuflisch/göttlichen Wesenheiten des Matriarchats: Mater Tenebrarum, Mater Lacrimarum und eben die titelgebende Mater Suspiriorum. Daher hallen ständig unheimliche Seufzer durchs Haus und Dakota Johnson tanzt sich in der Hauptrolle als Susie Bannion bei Choreografien mit unheilvoll dräuenden Namen wie „Volk“ oder „Wieder öffnen“ regelrecht die Seele aus dem Leib (während anderer Schülerinnen noch viel schlimmer dran sind und den Tanz bloß schwer verunstaltet überleben).
Vielbeschäftigte Tilda Swinton
Guadagnino Lieblingsdarstellerin Tilda Swinton spricht nicht nur ein fast perfektes Deutsch, sondern spielt eigentlich drei Figuren, obwohl sie nur als Choreografin Madame Blanc leicht zu erkennen ist. Ich überlasse es gerne dem Spürsinn der Zuschauer, sie auch in ihren beiden anderen Verkleidungen zu identifizieren. Jessica Harper, die Susie von 1977, absolviert einen kleinen Gastauftritt, und neben Angela Winkler zählt auch die Fassbinder-Schauspielerin Ingrid Caven zur unheimlichen Frauenrunde. Thom Yorke von ‚ ‘ tut sein Bestes, um einen eingängigen Score zu kreieren, seine Musik wird aber kaum so stark in unseren Ohren haften bleiben, wie die hypnotischen Hexenlieder von „Goblin“.
Neugierde
Das „Suspiria“ von 2018 ist also eine recht durchwachsene Angelegenheit geworden und funktioniert vor allem auf einer intellektuellen Ebene – dadurch rückt es in die Nähe von Aronofskys „Mother!“ (nicht umsonst ist ‚Mutter‘ hier sicher das am häufigsten gebrauchte Wort), aber man denkt auch unwillkürlich an einen Berlin-Horror wie „Possession“ (1981) von Andrzej Zulawski. Jedenfalls hat man nicht das Gefühl, gerade etwas wirklich Außergewöhnliches gesehen zu haben, das noch lange tief im Innern nachwirken wird. Bleibt zu hoffen, dass sich wenigstens ein willkommener Nebeneffekt einstellt, und bei alle jenen, denen der Name Dario Argento bisher nichts gesagt hat, die Neugierde auf den Originalfilm erwacht.