Miniserie: David Schalko zeigt "in jeder Folge einen anderen Kafka"

David Schalko hat eine Miniserie über "Kafka" gedreht
Am 24. und 25. März laufen sechs "Kafka"-Folgen im ORF 1. David Schalko spricht über den Entstehungsprozess der Miniserie.

Es ist eines der medialen Großereignisse des Kafka-Jahres zum kommenden 100. Todestag des berühmten Dichters: Am 24. und 25. März strahlt der ORF die sechsteilige Miniserie "Kafka" von David Schalko aus. Gemeinsam mit Daniel Kehlmann schrieb der Regisseur auch die Drehbücher. Im APA-Interview schildert Schalko Entstehungsgeschichte, Konzept und Besetzung der Serie und betont: "Wir haben natürlich versucht, die Kafka-Klischees zu vermeiden."

Herr Schalko, wie kam es, dass sich "Kafka" so schön mit dem Jubiläum ausgegangen ist? Das war doch schon länger ein Projekt von Ihnen?

David Schalko: Das stimmt. Wir haben schon vor zehn Jahren die Filmrechte für die Kafka-Biografie von Reiner Stach optioniert und recht lange daran gearbeitet. Es hat sich aber lange niemand gefunden, der das finanzieren wollte. Kafka wirkt offenbar noch immer so wie damals in der Schule: Wenn wir diesen Namen hören, kommt die Schularbeitsangst. Als gelte es, eine Kafka-Parabel zu interpretieren. Aber durch das Jubiläum hat sich dann eine Gelegenheit ergeben. Auf Initiative des NDR wurden dann alle Dritten ins Boot geholt.

Wie kam Daniel Kehlmann dazu?

Daniel ist einer meiner engsten Freunde, und wir waren vor zehn Jahren gemeinsam auf Skiurlaub. Ich habe ihm damals erzählt, dass ich das machen will, und er hat gesagt: Wenn du jemals Hilfe brauchst, ruf mich an! Dieser Moment kam dann auch, ein paar Jahre später. Wir haben gemeinsam noch einmal begonnen und die Drehbücher neu konzipiert - und er hat sie dann geschrieben. So war der Arbeitsablauf. Wir sprechen ohnedies fast jeden Tag miteinander, und so hat sich ein weiteres Thema hinzugefügt. Wir waren dann zu dritt - mit Kafka.

Mit Reiner Stach in der Telefonleitung zugeschaltet?

Ohne ihn wäre es nicht gegangen, das muss man ehrlich sagen. Das ging weit über die fachliche Beratung hinaus. Er hat auch szenische und dramaturgische Ideen eingebracht. Es war eine ideale Zusammenarbeit im Triangel, wo Daniels großartige Drehbücher mehrmals im Kreis gegangen sind. Bis wir alle das Gefühl hatten, jetzt ist es perfekt.

Mit welchen Gefühlen haben Sie sich diesem Literaturtitanen angenähert? War trotz aller Routine die Ehrfurcht größer als bei anderen Projekten?

Wir hatten stets die Sicherheit der Reiner-Stach-Biografien, auf denen alles basiert. Da steht ja eigentlich alles drinnen, sehr gut dokumentiert und auch schon sehr szenisch aufbereitet. Uns ging es vor allem darum, das reale Leben Kafkas mit der Literatur zu verbinden. Wie entsteht aus konkreten Ereignissen in einem realen Leben große Literatur? Das war das, was uns interessiert hat, und was es vielleicht von anderen Biopics unterscheidet. 

Die große Schwierigkeit neben den Büchern war natürlich die Frage: Wer spielt Kafka? Mit dem steht und fällt es.

Kafka spielt der Schweizer Joel Basman. Wie kamen Sie auf ihn?

Sein Name kam bald über mehrere Wege gleichzeitig ins Spiel. Über Gespräche, die Daniel führte. Über meine Castingdirektorin. Ich kannte ihn, weil er in meiner Serie "Ich und die anderen" eine kleine Rolle hatte. Er erwies sich als echter Glücksfall. 

Neben der physiognomischen Ähnlichkeit - die ja gar nicht so unwichtig ist, weil von Kafka weiß jeder, wie er ausgesehen hat - ist es ein spezieller Umstand: Naturwissenschafter und Schriftsteller sind am schwersten zu besetzen, denn Intelligenz ist schwer zu simulieren. Deswegen ist das oft unglaubwürdig. Bei Joel gab es diese Problematik nicht, und er hat sich auch so lange mit seiner Rolle auseinandergesetzt, dass man am Ende das Gefühl hat, Kafka zu sehen, und nicht einen Schauspieler.

Basmann spielt aber gerade keinen Intellektuellen, sondern einen Querkopf, bei dem man nie eine Ahnung hat, was er als Nächstes sagt.

Kafkas Intelligenz besteht darin, Dinge klarer zu sehen als andere. Und dafür Bilder und Formulierungen zu finden, die mehrere Ebenen gleichzeitig haben. Joels Spiel entspricht der realen Kafka-Figur. Für uns war auch relativ schnell klar, dass wir die Serie nicht aus der Perspektive von Kafka erzählen können, sondern, dass wir uns ihm über die Blickwinkel seiner Weggefährten nähern. Dadurch sieht man in jeder Folge einen anderen Kafka.

Sehr präsent ist Kafkas Freund Max Brod, den David Kross spielt. Mit ihm startet auch die Serie. Sie zeigen ihn als Antagonisten - sehr dem Leben und den Frauen zugewandt und das große dichterische Potenzial seines Freundes sofort erkennend ...

Max Brod ist unsere emotionale Anbindung an Kafka. Er ist die Brücke, um einen Zugang zu ihm zu finden. Denn Kafka ist nicht besonders zugänglich - weder in seinem Schreiben noch in seinem Charakter. Max Brod war ja derjenige, der das Werk von Kafka über sein eigenes gestellt hat, obwohl er damals ein berühmter Schriftsteller war. Und er hat Kafkas Wunsch, er möge sein Werk verbrennen, nicht erfüllt und es so gerettet und dann berühmt gemacht. Später hat man ihm ja vorgeworfen, dass er in die Tagebücher eingegriffen und die Deutungshoheit eingenommen hat ...

Sie haben ja das berühmte, 1968 geführte Interview mit Max Brod wie eine Verhörsituation inszeniert.

Ja, wir haben das verdichtet. Als retrospektive Situation.

Sie haben immer wieder Szenen eingebaut, in denen das Werk im Zentrum steht. Wie sind Sie da vorgegangen? Ich kann mir vorstellen, dass der Begriff "kafkaesk" dabei wie ein drohender Schatten darüber gelegen ist, dem es zu entkommen galt?

Wir haben natürlich versucht, die Kafka-Klischees zu vermeiden. Das Wort kafkaesk betrifft vor allem bürokratisch pervertierte Abläufe, aber Kafka war ja als Versicherungsangestellter ein Teil dieser Bürokratie und nicht ihr Opfer. Wir haben uns auf Situationen konzentriert, in denen Literatur eine Rolle gespielt hat - und da gibt Reiner Stach schon wertvolle Anhaltspunkte, aus welchen Ereignissen in Kafkas Leben große Literatur entstanden ist. 

Aus dem Prozess, dem ihm Felice Bauer macht, weil er sie nicht heiratet, erschafft er den Prozess, in dem ein Mann verhaftet wird und nicht weiß warum. Aus der Bezeichnung "Ungeziefer" für den Jiddischen Schauspieler Löwy aus dem Mund des Vaters wird das Ungeziefer in der "Verwandlung". Er verwandelt Persönliches in allgemeingültige Mythologien, die zeitlos sind. Kafkas Texte werden immer eine relevante reale Entsprechung haben. Vermutlich empfindet man Kafka deshalb als prophetischen Schriftsteller.

Als Regisseur liegt Kafka hinter Ihnen. Was beschäftigt Sie derzeit?

Ich drehe demnächst ein kleines Projekt für die ARD-Mediathek: Sechs Miniaturen, die meistens in einer einzigen Location spielen. Genau das Gegenteil von Kafka.

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)