"Das finstere Tal" auf Netflix: Shootout in den Alpen
Wenn unsere urwüchsigen Alpenbewohner zu den Gewehren greifen, ist Schluss mit Lustig. Das war schon im 19. Jahrhundert so. Sobald jedoch der gerne zwischen den Genres wechselnde Andreas Prochaska ein durch Rachsucht ausgelöstes tragisches Treiben inszeniert, fängt für uns der höchste Filmgenuss an.
Bedrohlicher Moretti
In diesem ersten richtigen Austro-Western reist ein amerikanischer Fremder, der über ausgezeichnete Deutschkenntnisse verfügt und angeblich als Fotograf arbeitet, ums Jahr 1875 in ein hinterwäldlerisches österreichisches Bergdorf, um sich dort den Winter über einzuquartieren. Der Mann verfolgt aber ganz spezielle Pläne, denn die brutalen tonangebenden sechs Brenner-Brüder (mit Tobias Moretti als bedrohlichem Anführer) sind bald nur noch zu viert Tendenz fallend; und so kommt es in der eingeschneiten Einöde zu einem gnadenlosen Shootout.
Detailreich und bildgewaltig
Natürlich lässt ein Winter-Western-Klassiker wie "Leichen pflastern seinen Weg" kräftig grüßen; dennoch hat man nie auch nur für einen Sekundenbruchteil den Eindruck, dass hier krampfhaft die Wild West-Welt nach Österreich verpflanzt werden soll. Dafür ist die überzeugende Geschichte in ihrer sowohl wuchtigen als auch einfachen und konsequenten Geradlinigkeit viel zu lokalgebunden.
Doch auch die andere Gefahr wird vermieden: Prochaska tappt nicht in die Heimatfilmfalle und lässt keine knorrigen Charaktere vor einer verkitschten Alpenkulisse agieren. Stattdessen werden wir dank Thomas W. Kiennasts atemberaubender Kameraarbeit und ein paar Dutzend ausnahmslos großartiger Darsteller (teils Profis, teils Laien), durch höchste Authentizität belohnt - da wurde selbst noch auf das Schwarze unterm Fingernagel geachtet.
Dialekt-Gemenge
Geredet wird nicht viel, aber zumindest in einem interessanten Akzent- und Dialekt-Gemenge. Der Brite Sam Riley spielt den Besucher aus Amerika: dieser Schweigsamste von allen spricht Deutsch mit entsprechendem Zungenschlag; während die Berlinerin Paula Beer mühelos eine Art gezähmtes Tirolerisch meistert.
Ein Film wie dieser lebt jedoch in erster Linie von den Gesichtern und deshalb lässt uns Prochaska in liebevoll langen Großaufnahmen an den Emotionen der Figuren teilhaben. Eine besondere Überraschung hat er sich noch für den Nachspann aufgespart: dort erscheint jeder der zahlreichen vor Ort in Südtirol gefundenen Komparsen für ein paar Sekunden - von der Kamera sozusagen abfotografiert - in Form eines lebendigen Schwarz-Weiß-Porträts.
Ich bin sicher nicht der Einzige, dem sich dabei der Eindruck aufdrängt: Jedes dieser Gesichter hätte einen eigenen Film verdient.
Das finstere Tal verdient sich jedenfalls 4 von 5 blutigen Schneeflecken.
"Das finstere Tal" ist unter dem Titel "The Dark Valley" derzeit auf Netflix verfügbar.