Saint-Cyr

Ein großer Tag, als Madame
de Maintenon die Erziehungs-Institution Saint-Cyr eröffnet. Die
Mädchen kommen aus der Provinz, aber aus gutem Hause. Viel hat
sich die Herzensdame Ludwigs XIV., der das Projekt unterstützt,
vorgenommen: Geistige und persönliche Entwicklung will sie ihren
250 Schutzbefohlenen angedeihen lassen, nicht die engstirnige Ausbildung
wie im Kloster, sondern eine weltoffene, in der auch die Kunst der
Konversation und Kommunikation auf dem Stundenplan steht. Den jungen
Damen in gefälliger Kleidung geht es gut, ihre Zukunft scheint
rosig. Und Madame hofft, damit eigene Fehler ihrer Vergangenheit dem
Vergessen anheim zu stellen. Die Fehlkalkulation tritt zutage, als
die Hof-Entourage sich die Aufführung eines Racine-Stücks
ansieht und die Herren Höflinge ihr Begehren nicht zügeln
können. Aber auch bei den Mademoiselles melden sich sexuelle
Wünsche.
Patricia Mazuy konzentriert sich auf den Werdegang zweier Mädchen,
halb Kind, halb Frau, die den goldenen Käfig sprengen wollen.
In Lucie und Anne spiegeln sich auch Madame Maintenons Charakterzüge
wieder – die angepasste und die rebellische Seite. Auf der Suche
nach einer Schauspielerin, die eine Gruppe von Kindern und jungen
Mädchen dirigieren könne, dachte Patricia Mazuy sofort –
und mit Recht – an Isabelle Huppert. Bei ihrer ersten Begegnung
mit der Regisseurin amüsierte sich Huppert über die Definition,
die Story sei so etwas ähnliches wie eine weibliche Version von
Full Metal Jacket. So harten Drill gibt es hinter den Schlossmauern
zwar nicht, aber Mazuy zeigt die Diskrepanz zwischen dem für
die damalige Zeit liberalen Anspruch und der harten Wirklichkeit.
Das Scheitern der Idee einer freiheitlichen Erziehung wird ebenso
eingängig dargestellt wie der Rückschritt zu klösterlicher
Strenge und Einfachheit. Pikant: In den Mauern von Saint-Cyr gründete
Napoléon 1800 eine Militärschule. (Margret Köhler)