RIESENFLOH UND WASSERDRACHE IM KAMPF MIT DER ZIELLOSIGKEIT

Es war einmal ein Film, der sich „Das Märchen der Märchen“ nannte, was eine ganz schön kühne Behauptung darstellt. Sollen wir glauben, dass hier alle nur möglichen Märchenmotive zu einer Art Über-Märchen verschmolzen wurden? Noch dazu ist Regisseur Matteo Garrone eher für seinen Realismus bekannt, da von ihm z.B. das neapolitanische Mafia-Drama „Gomorra“ stammt und ein anderes seiner Werke überhaupt gleich den Titel „Reality“ trägt. Trotzdem kann sich Garrone auf eine äußerst reale und altehrwürdige Vorlage berufen, denn drei Geschichten aus der - auch als „Il Pentamerone“ bekannten - Märchensammlung "Il Racconto dei Racconti" des italienischen Barock-Autors Giambattista Basile haben ihn zu diesem Film inspiriert. Mit kindergerechter Wunderherrlichkeit hat das wenig zu tun (obwohl auch die klassischen Hausmärchen der Brüder Grimm eigentlich oft eine FSK-Freigabe ab 16 vertragen würden).

Stattdessen bekommen wir mit Horrorelementen angereicherte Geschichten geboten, in denen alles um gefährliches Verlangen und absonderliche Begierden kreist. Drei Herrscher aus unterschiedlichen Königreichen treten als Hauptfiguren in Erscheinung: ein König (John. C. Reilly) würde für seine kinderlose Frau (Salma Hayek) alles tun, damit sich endlich Nachwuchs einstellt und erhält von einem zauberischen Alten seltsame Anweisungen, die ihn unter Wasser führen; ein anderer verwitweter Regent (Toby Jones) hat zwar eine Tochter, entwickelt jedoch eine krankhafte Neigung für einen Floh, der dank guter Verköstigung immer größer wird (das Märchen könnte tatsächlich von Kafka sein); der dritte König (Vincent Cassel) ist schließlich ein gewaltiger Lüstling, vor dem keine junge Frau im weiten Umkreis Ruhe hat. Seine neueste Begierde wird durch eine Färberin geweckt, doch statt sich durch die liebliche Singstimme betören zu lassen, sollte er lieber einen Blick ins Gesicht der betreffenden Person werfen.

Der Regisseur will nun seine drei Märchenvorlagen miteinander verquicken und erzählt die Handlungen parallel. Die vielfältigen Ereignisse sind zwar meist wirklich überraschend und sogar unerwartet aktuell (so lässt sich die Episode mit den Färberschwestern als Satire auf Jugendlichkeitswahn und Schönheits-OPs verstehen); leider überwiegt aber dennoch der Eindruck, dass Garrone in erster Linie auf die bizarren Elemente Wert legt und sich v.a. deshalb als Märchenonkel versucht, um uns stolz alle Absonderlichkeiten präsentieren zu können. Wie in einer Nummernrevue von Fellini bekommen wir Fabeltiere, Monster, Gaukler und riesenhafte Höhlenmenschen geboten, während der viel zu lange Film aber keine klare Struktur erkennen lässt und eher ziellos dahinmäandert.

Bloß weil sich bei feierlichen Anlässen wie Begräbnissen oder Hochzeiten die Herrscher nebst Gefolge im jeweiligen Nachbarreich einfinden, ist das noch lange keine gelungene Verknüpfung oder gar Engführung der Geschichten und ergibt kein abgerundetes Ganzes.

Wir bleiben daher realistisch und vergeben 6 von 10 Es-hat-nicht-sollen-sein-Punkten.