Refn-Interview: "Je mehr man Gewalt sexualisiert, desto furchteinflößender wird sie."

Nicolas Winding Refn bei der Premiere von "The Neon Demon" im Gartenbaukino
Der neue Film des dänischen Regisseurs Nicolas Winding Refn, „The Neon Demon“ läuft am 23. Juni in den österreichischen Kinos an. Durch seinen Film „Drive“ (2011) mit Ryan Gosling und Carey Mulligan konnte er sowohl bei Kritikern als auch beim Publikum überzeugen.

The Neon Demon“ besticht, wie sein letzter Film „Only God Forgives“, hauptsächlich auf audiovisueller Ebene. Die Geschichte eines junges Models (Elle Fanning), das über das gewisse Etwas zu verfügen scheint, entführt den Zuseher in die Abgründe der Modeindustrie, ohne dabei den moralischen Zeigefinger zu erheben. Der Psychothriller mit Horrorelementen versucht größtenteils das schwache Drehbuch durch eindringliche Musik und schrillen Farben zu kompensieren, dadurch ist der Film mehr ein visuelles Erlebnis als eine Milieu- oder Charakterstudie. Refn sieht seinen Stil als die Zukunft des Kinos und will vor allem ein junges Publikum erreichen, dadurch erinnert „The Neon Demon“ oft mehr an ein Musikvideo als an einen Film.

film.at: Sie haben in Interviews gesagt, dass Sie zuerst eine Musik im Kopf haben und dann die Leinwand mit Szenen füllen, die Sie selber sehen wollen. Welche Musik hatten Sie für „The Neon Demon“ im Kopf? Wie sehr konnte sich der Komponist Cliff Martinez kreativ einbringen?

Nicolas Winding Refn: Ich habe sehr viel Giorgio Moroder gehört. Als ich zu Cliff ging fand er es sehr interessant, aber ich wollte, dass er seine eigene Handschrift in den Film miteinbringt, Moroder sollte ihm, genauso wie für mich, als Inspiration dienen. Es ist eine sehr einfache Zusammenarbeit mit Cliff, weil er immer die besten Lösungen findet und ich mich immer wieder auf seine Ideen freue, die er mit in den Film einbringt. Ich, Cliff Martinez und mein Cutter Matthew Newman, sind wie eine eingespielte Band, deshalb ist es für mich sehr wichtig, immer wieder mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Gewalt spielt in Ihren Filmen eine große Rolle. Wie gehen Sie an Gewaltszenen heran?

Ich versuche mit der Sexualisierung von Gewalt in meinen Filmen das Unterbewusstsein des Zusehers zu erreichen, denn je mehr man Gewalt sexualisiert, desto furchteinflößender wird sie. Dadurch ist das Publikum erregt und angewidert zugleich, was dazu führt, dass es stärker ins Geschehen hineingezogen wird. Gewalt in komödiantischer Form ist nur für eine kurze Zeit unterhaltsam, aber wird nach der Zeit vorhersehbar und stumpft ab.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit Co-Autoren aus, wenn die Erzählung größtenteils über Bild und Ton erfolgt und nicht über die Handlung?

Ich mache was mir gefällt und verwende die Kreativität anderer um herauszufinden, was mir nicht gefällt. Ich verstehe nicht, was Sie mit „Handlung“ meinen. Es ist sehr seltsam, dass es eine sehr genaue Vorstellung davon gibt, wie Filme sein sollen. Das Problem des Kinos ist, dass es zu einer Art mathematischer Gleichung verkommen ist und wer dieser Gleichung nicht folgt, wird als schlecht oder radikal eingestuft. Ich sehe mich als Vertreter der Moderne. Die Zukunft des Kinos wird aus der Einzigartigkeit der Filmemacher bestehen und daraus, wofür sie stehen und was sie tun. Diese Zukunft ist der Ozean der digitalen Revolution.

Einige Elemente des Filmes erinnern stark an die Filme von Dario Argento. Gibt es Filmemacher die Ihre Arbeit beeinflusst haben?

Ich liebe Dario Argento. Als ich noch jung war habe ich oft seine Filme geschaut, das hat bestimmt Spuren hinterlassen, aber mir gefallen alle möglichen Filme. „The Neon Demon“ hat auch märchenhaft Elemente, weil Märchen für mich sehr rein sind und viel Interpretationsspielraum zulassen. Märchen haben eine innere Struktur die man spürt, ohne sie benennen zu können. Solche Zugänge haben mich immer schon fasziniert.

Ihr Film behandelt ein sehr reales Thema in einem sehr stilisierten Rahmen. Wie stehen Sie zum realistischen Kino und wieso haben Sie sich für so einen artifiziellen Stil entschieden?

Artifizielle Wirklichkeit halte ich für spannender, weil es ins Unterbewusste der Zuseher eindringt und dadurch eine größere Wirkung erzielen kann. Es ist interessanter, an Horror- oder Genrefilmen zu arbeiten, weil sie vielschichtig sind und mehr Spielraum für Interpretation bieten. Realität kann man im Fernsehen oder draußen auf der Straße beobachten, ich weiß nicht ob man das nochmal dokumentieren will.

(Interviewer: Özgür Anil)

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