"You": Warum finden Frauen Joe Goldberg so attraktiv?
Achtung, dieser Beitrag enthält Spoiler zur ersten Staffel der Netflix-Serie "You - Du wirst mich lieben"!
Er stalkt, er liebt, er leidet – und er mordet: die Rede ist von der Figur Joe Goldberg, die in der Netflix-Serie "You - Du wirst mich lieben" die ZuschauerInnen auf Trab hält. Vor allem weibliche Fans der Show finden den jungen Mörder, "der einfach nur nicht verstanden wird", scheinbar unglaublich heiß.
Doch warum eigentlich? Zugegeben, der Schauspieler Penn Badgley trägt mit seinen braunen Locken und Hundeblick dazu bei, dass wir ihn trotz Goldbergs Verbrechen zum Verlieben finden. Dennoch könnte auch ein ganz anderer Grund eine Rolle spielen.
Penn Badgley kritisiert Figur Joe Goldberg
Badgley, der auch aus der Serie "Gossip Girl" bekannt ist, erklärte 2019 gegenüber "Entertainment Weekly": "Joe ist eigentlich nicht auf der Suche nach der wahren Liebe. (...) Er ist nicht wirklich ein Mensch, der einfach jemanden braucht, der ihn liebt. Er ist ein Mörder. Er ist ein Soziopath. Er missbraucht. Er ist wahnhaft. Und er ist selbstbesessen", fasste der Schauspieler seine problematischen "You"-Charakter zusammen.
Im Netz meinen dennoch viele Fans, dass sie "genauso einen Mann wie Joe" suchen würden. Auch das kritisiert Badgley auf Plattformen wie Twitter und Co.: Nachdem eine FollowerIn ihn 2019 als "heißen Mörder" bezeichnete, erklärte der Hollywood-Star, dass er seinen Glauben in die Menschheit verloren hätte.
Warum lieben vor allem Frauen VerbrecherInnen?
Die Verhaltenswissenschaftlerin Clarissa Silva erklärte gegenüber "indy100", warum viele (weibliche) Fans das Verhaltens Goldbergs als "romantisch" wahrnehmen, obwohl er (sprichwörtlich!) über Leichen geht. "Viele haben noch keine Romantik erlebt und würden sie gerne in ihrem Leben nachahmen", so die Expertin. "Manche Frauen sehen einen Menschen, der gebrochen ist, der irgendwann in seinem Leben nicht mehr geliebt wurde, und können sich in ihn hineinversetzen." Laut Silva würden vor allem Frauen in der Figur eine Person, die "von ihrer Fürsorge profitieren" könne.
Dies kann auch einen biologischen Aspekt haben, denn die Faszination für solche Charaktere kann über "romantische Gesten" hinausgehen. Manche Menschen würden sich laut der Forscherin "chemisch" von deren Art angezogen fühlen. Grund dafür ist die sogenannte Hybristophilie – auch "Bonnie-und-Clyde-Syndrom" genannt. Betroffene, die dieses Syndrom aufweisen, fühlen sich von SchwerverbrecherInnen besonders angezogen. Laut "MDR" entwickeln dabei "vor allem Frauen romantische Gefühle für Sexualstraftäter und Mörder."
Wie Silva weiter erklärte, kann das Syndrom die Freisetzung von Noradrenalin auslösen, einem Hormon, das die sexuelle Erregung steigert. "Ted Bundy, Charles Manson und David Berkowitz wurden nicht als Meister der Manipulation wahrgenommen, sondern als charmant, stark, hypermaskulin und als idealisierte Version eines Partners", so Silva über den Blick von Betroffenen des Syndroms.
Wie das eigene Trauma mitspielt
Laut der Verhaltenswissenschaftlerin ist das aber nicht alles, denn die "Besessenheit" von solchen Charakteren kann auch auf eigene Erfahrungen mit Missbrauch zurückzuführen sein. Es kann also dazu beitragen, dass "Frauen Missbraucher aufsuchen, weil sie den Missbrauch verinnerlicht haben und glauben, dass sie ihn verdient haben", so die Expertin.
Auch die US-Klinikerin Amira Johnson des Berman Centers erklärte gegenüber "indy100" dass "bestimmte Handlungen, auch wenn sie gewalttätig oder schädlich für jemand anderen sind, als akzeptabel angesehen werden, wenn sie irgendwie gerechtfertigt werden können". Laut Johnson seien wir in Gesellschaften aufgewachsen, die "unmenschliche Behandlung desensibilisieren."
"Von der Akzeptanz des Krieges und der Gier der Unternehmen bis hin zur Illusion, dass Männer den Frauen überlegen sind, haben wir alle gesellschaftliche Normen akzeptiert, die uns unbewusst glauben lassen, dass solche Handlungen, wie sie Joe Goldberg an den Tag legt, verlockend sind und von einem Ort der Macht und Liebe herrühren", erklärte Johnson weiter.
So würden die ZuschauerInnen dass unmenschliche Verhalten von Joe Goldberg ignorieren, und sich stattdessen auf die "Handlungen konzentrieren, die Joe liebevoll erscheinen lassen, als würde er sich wirklich um die Frauen sorgen, mit denen er ausgeht". Das würde sich vor allem auf Tötung von Joe Goldbergs Freundin Guinevere Beck aus der ersten Staffel von "You" beziehen. Er habe alle "Hindernisse" beziehungsweise Menschen getötet, um Beck für sich allein zu haben. "Als das nicht geklappt hat, hat er auch die Frau umgebracht."
"You" Staffel 1-4 befinden sich auf Netflix.
Wer Erfahrungen mit Gewalt oder sexuellen Übergriffen erlebt oder in der Vergangenheit erlebt hat, kann sich kostenlos und anonym an die Frauenhelpline gegen Gewalt 0800/222-555, www.frauenhelpline.at, an die Onlineberatung für Mädchen und Frauen im HelpChat, www.haltdergewalt.at, an die Frauenhelpline für gehörlose Frauen, www.oegsbarrierefrei.at/bmf/hilfseinrichtungen/ oder an die Männerberatungsstelle unter 0720 / 70 44 00, https://www.maennerinfo.at wenden.