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Serienreview

"Tiger King": Die verrückteste Doku auf Netflix

Der Erfolg der neuen Netflix-Doku wirft Fragen über die moralische Verantwortung der Filmemacher auf.

von Oezguer Anil

04/02/2020, 10:01 AM

Am 20. März veröffentlichte der Streaming-Gigant die Dokuserie „Tiger King“. Die sieben Folgen zu je 45 Minuten zählten in kürzester Zeit zu den meist gestreamten Inhalten auf Netflix. Die Show beginnt als ein Porträt über die prekären Verhältnisse in denen Wildkatzen in den USA gehalten werden und entwickelt sich schnell zu einer absolut verrückten Millieustudie über deren Besitzer. Im Zentrum der Geschichte steht Joseph Maldonado Passage, besser bekannt als Joe Exotic - der „Tiger King“. Er besitzt einen Tierpark mit rund 250 wilden Tieren, darunter Affen, Schlangen und Alligatoren, doch sein Hauptaugenmerk liegt auf Wildkatzen.

Der absolute Wahnsinn

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Joe Exotic beschäftigt auf seinem Anwesen in Oklahaoma dutzende Angestellte, von denen die meisten eine kriminelle Vergangenheit haben und nicht wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Er kreiert eine familiäre Atmosphäre in seinem ungewöhnlichen Tierreich, wo er König und Narr zugleich ist. Der Vokuhila tragende schwule Cowboy, wie er sich gerne selbst nennt, ist zudem mit zwei jungen Männern zusammen, von deren Homosexualität man nicht wirklich überzeugt ist. Einer der Geschäftspartner von Joe ist Doc Antle. Er besitzt einen Tierpark in South Carolina, wo er genauso wie Joe Führungen anbietet, bei denen man Fotos mit Wildkatzen machen kann. Sein Unternehmen scheint kultähnlich strukturiert zu sein. Er hat mehrere Frauen, die er in jungen Jahren an sich und die Tiere bindet. Doc Antle versucht genauso wie Joe, sich ein eigenes Königreich aufzubauen, in dem er keinem Rede und Antwort stehen muss.

Murder Mystery

 Joes größte Widersacherin ist Carole Baskin, eine Tieraktivistin, die mit der Hilfe von Peta versucht, den Privatbesitz von Wildkatzen unter Strafe zu stellen. Carol betreibt den Tierpark „Big Cat Rescue“, in dem sie knapp ein dutzend Tiger hält. Sie wird von namhaften Sponsoren und zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeitern unterstützt. Nach Joes Meinung verbirgt sich hinter Caroles Tierliebe der Wunsch danach, ein Monopol auf das Halten von Wildkatzen zu erlangen. Carole erbte ihren Tierpark von ihrem Ex-Mann, einem Multimillionär, der sich von ihr scheiden lassen wollte und unter mysteriösen Umständen verschwand. Auch, wenn die Justiz den Fall bereits zu den Akten gelegt hat, sind sich viele der Protagonisten einig, dass Carole ihren Ehemann umgebracht hat. Der Kleinkrieg zwischen Joe und der stets lächelnden Aktivistin mit Katzenhaarallergie verlagerte sich in den letzten Jahren ins Internet. Joe produzierte zahlreiche Youtube Videos, in denen er Carole beschimpft und Puppen massakriert auf denen ihr Name draufsteht.

Die besten Geschichten schreibt das Leben

Joe Exotic, Doc Antle und Carole Baskin sind nur drei Figuren aus dieser mit unzähligen skurrilen Charakteren besetzten Doku, die man unmöglich in Worte fassen kann. Zu Beginn wollten die Regisseure Eric Goode und Rebecca Chaiklin eigentlich einen Film über die private Haltung von Reptilien machen. Als eines Tages ein Mann mit einem Schneeleoparden bei einem Verkaufsstand auftauchte, verlagerte sich ihr Fokus auf Wildkatzen. In den USA leben laut der Doku fünf- bis zehntausend Wildkatzen, wohingegen in freier Wildbahn weltweit nur noch viertausend existieren. Eine spannende Prämisse für einen Dokumentarfilm mag man meinen, aber als sie dann schließlich auf Joe Exotic und die anderen Wildkatzenbesitzer trafen, wurde ihnen klar, dass sie das extravagante Leben der Züchter nicht ausblenden konnten. Die Dreharbeiten dauerten insgesamt fünf Jahre.

Kamerageil

Joe Exotic liebt es, sich zu inszenieren. Er ist einer jener Menschen, die alles dafür tun, um eine Plattform zu bekommen, auf der man ihnen zujubelt. Er behauptet, zwei Country Alben mit zahlreichen Videoauskoppelungen produziert zu haben, obwohl auf den ersten Blick klar ist, dass er die Lieder nicht selber singt und er war schon Protagonist einer Reality Show, die nie ausgestrahlt wurde. Auch die Doku von Goode und Chaiklin nutzt er als Plattform, um sein Ego zu befriedigen, deshalb ist die Frage nach der moralischen Verantwortung der Filmemacher durchaus berechtigt. Viele von Joes absurden Aktionen hätten höchstwahrscheinlich gar nicht erst stattgefunden, wenn kein Kamerateam dabei gewesen wäre.

Zynisch

So wild und unterhaltsam „Tiger King“ auch sein mag, darf man nicht vergessen, dass es hier um reale Menschen geht. Die Doku löste unzählige Debatten im Internet aus, in denen vor allem über das Verschwinden von Carole Baskins Ehemann diskutiert wird. Influencer und Blogger lassen ihre Fans darüber abstimmen ob sie glauben, dass Carole ihren Mann umgebracht hat oder nicht. Solche Umfragen dienen in Zeiten der globalen Isolation vielleicht gut zur Ablenkung, aber sind im Grunde genau so abstoßend wie die verrückten Aktionen von Joe Exotic. Ob Carole ihren Mann umgebracht hat oder nicht, sollte nicht von einem sich in den eigenen vier Wänden langweilenden Publikum entschieden werden, sondern ist noch immer Aufgabe der Justiz. Aufgrund der Doku wurden die Ermittlungen zu dem Fall Baskin wieder aufgenommen und es bleibt abzuwarten ob die „Tiger King“ - Saga um ein skurriles Kapitel reicher wird.

Inszenierung

Den Regisseuren geht es vordergründig nicht darum, ein möglichst realistisches Bild der Wildkatzenzüchter wiederzugeben, sondern sie wollen eine packende Geschichte kreieren, die vor allem unterhalten soll. Sie greifen dabei auf Stilmittel von Spielfilmen zurück und inszenieren bewusst ihre Gesprächspartner. Um den Schockeffekt für das Publikum zu erhöhen, wurde der Ex-Freund von Joe gebeten, seine Zahnprothese für das Interview herauszunehmen und mit nacktem Oberkörper vor die Kamera zu treten. Die Ausschnitte von Carole Baskins Anlage wurden hauptsächlich von Aufnahmen des jährlichen Treffens ihrer Organisation zusammengestellt, so dass der Eindruck vermittelt werden sollte, dass sie ein profitables Geschäft mit zahlenden Kunden betreibt. Ihr wurde außerdem gesagt, dass die Filmemacher vorhätten, einen Film wie „Blackfish“ für Wildkatzen zu machen, eine Doku über Orkas in Gefangenschaft, die zufolge hatte, dass Seaworld erhebliche Einbrüche in ihren Einnahmen hinnehmen musste.

Schattenseiten

„Tiger King“ ist eine beeindruckende Doku, die man in dieser Form noch nie gesehen hat. Die Lebensgeschichte von Joe Exotic würde vermutlich noch genügend Stoff für eine weitere Staffel bieten, aber so wie es aussieht, könnte es schwierig werden, viele der Mitwirkenden noch einmal vor die Kamera zu locken. Man sollte trotz all den Attraktionen, die einem hier geboten werden, nicht vergessen, dass es sich hierbei um eine stark verkürzte Version der realen Ereignisse handelt und die Wirklichkeit irgendwo zwischen der Kamera und den Protagonisten liegt.

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