Patrick Vollrath: "Scheiß drauf, wir machen das jetzt einfach"
Diese Woche startet Patrick Vollraths Action-Thriller „7500“ in unseren Kinos. Er studierte an der Filmakademie Wien Regie und sein Abschlussfilm „Alles wird gut“ wurde 2016 für den Oscar als bester Kurzfilm nominiert. In seinem Debütfilm erzählt er die Geschichte vom Co-Piloten Tobias Ellis, der sich bei einer Flugzeugentführung zwischen seinem eigenen und dem Wohl seiner Passagiere entscheiden muss. Die deutsch-österreichische Koproduktion ist mit Joseph Gordon Levitt in der Hauptrolle hochkarätig besetzt.. Wir haben mit dem Regisseur über seinen ungewöhnlichen Inszenierungsstil und die Arbeit mit dem US-Star gesprochen.
Wie kamen Sie auf die Idee, einen Film über eine Flugzeugentführung zu machen?
Es gab drei Grundpfeiler:
Ich wollte einen Film machen, der nur in einem Raum spielt. Dann war die Frage, welcher Raum wäre denn spannend genug, da kam ich dann recht schnell auf ein Flugzeugcockpit, weil dort natürlich von der dramaturgischen Grundsituation her wahnsinnig viel passieren kann. Es ist kein starrer sondern ein sich fortbewegender Raum, den man mit vielen Gefahren verbindet, weil er einfach auf 30 Tausend Fuß ist. Bei einem Film, in dem Terrorismus so eine zentrale Rolle spielt, wollte ich auch etwas über einen Ausweg aus der Gewaltspirale erzählen. Eine Art Antirache – Film, in dem jemand, dem viel Gewalt wiederfährt, nicht mit Gegengewalt reagiert, sondern diesen Schmerz akzeptieren muss und dem es nicht besser geht, wenn er das Messer nimmt und wen angreift. Als ich angefangen habe, über den Film nachzudenken, wurde in den Medien sehr viel über Kinder im IS und jugendliche Rückkehrer aus Syrien berichtet. Ich habe viele dieser Geschichten von 15-18 jährigen gelesen, die verzweifelt ihre Eltern aus Syrien angerufen haben, damit sie sie da rausholen. Ich fand die Idee interessant, die Geschichte einer Figur zu erzählen, die ihre Deradikalisierung im denkbar schlechtesten Moment durchmacht.
Der Film besticht durch viele technische Details. Haben Sie zuerst mit der Recherche oder dem Drehbuchschreiben begonnen?
Das war bisschen so eine Wechselwirkung. Am Anfang waren die Überlegungen nur: Was ist unsere Geschichte und wer ist unsere Hauptfigur.Wir haben uns für den Co-Piloten als Hauptfigur entschieden, weil wir zunächst dachten, dass er vielleicht etwas unerfahrener ist als der Pilot. In der Recherche findet man dann heraus, dass die Co-Piloten so toll ausgebildet werden, dass da keiner unerfahren ist. Wir wollten aber trotzdem bei ihm bleiben, weil er in der Regel der Jüngere ist. Wir haben uns anschließend überlegt, was man alles in diesem Cockpit zur Verfügung hat, mit dem man eine fesselnde Geschichte erzählen kann, da ist die Recherche natürlich sehr wichtig. Zusätzlich zu den Recherchen habe ich nach jedem meiner Flüge die Crew gebeten, ob ich mich im Cockpit umschauen darf, um ein Gefühl für den Raum zu bekommen. Carlo Kitzlinger, der Darsteller von „Michael“, war ja tatsächlich mal Pilot. Ich habe mich mit ihm sehr lange zusammengesetzt und wir sind wirklich alles durchgegangen. Er ist auch nach LA geflogen und hat Joseph eingeschult und mit ihm im Flugsimulator geprobt.
Sie setzen auf einen sehr dokumentarischen Inszenierungsstil. Können Sie uns etwas über Ihre Arbeitsweise erzählen? Machen Sie Storyboards? Wie sehr verlassen Sie sich auf das Drehbuch?
Wir machen wahnsinnig lange Aufnahmen. Das war mit Sebastian (Thaler) schon bei meinem Kurzfilm „Alles wird gut“ so. Wir haben zwei Tage lang nur die Anfangssequenz gedreht, die ging 16 Minuten lang, die wir dann im Schnittraum schließlich auf 9 Minuten gekürzt haben. Dann gab es einen Block, in dem wir nur den Angriff gedreht haben, der vorher nicht gestoryboarded war. Sebastian und ich haben bereits im Studium viele Filme zusammen gemacht, deshalb sind wir einfach ein eingespieltes Team. Er war genau so wie Joe (Joseph Gordon Levitt) und die anderen Schauspieler im Cockpit eingeschlossen und hat versucht, das Geschehen mit der Kamera einzufangen. Die Schauspieler bekommen eine Beatliste, in der steht, was in der Szene passieren soll, aber wie sie von A nach B nach C und über D kommen, müssen sie schließlich selber entscheiden. Ich schaue mir das ganze draußen auf dem Monitor an und gehe danach hinein und spreche mit ihnen über die Stellen, die noch nicht funktioniert haben.
Wie haben sich diese langen Aufnahmen auf den Schnittprozess ausgewirkt?
Wir haben lange geschnitten, weil es einfach viele unterschiedliche Möglichkeiten gab, die Geschichte zu erzählen. Es war nicht wie bei anderen Filmen, wo man eine Szene komplett hätte rausschneiden können, weil sonst das ganze Konstrukt zusammengefallen wäre. Die Freiheit, die ich mir beim Dreh lasse, erfordert einfach einen längeren Schnittprozess, um das zu kriegen, was ich möchte.
Arbeiten Sie überhaupt mit einem klassischen Drehbuch? Sind die Dialoge vorgegeben?
Es gibt ein Drehbuch, das alle Schauspieler vor dem Dreh bekommen, in dem sind aber nur die technischen Dialoge vorgegeben, damit die Fachbegriffe einfach richtig verwendet werden. Sonst stehen in diesem Drehbuch keine Regieanweisungen, wenn es die Aufgabe einer Figur ist, in einen geschlossenen Raum einzudringen, bleibt es dem Schauspieler selber überlassen, wie und mit was er versucht, sein Ziel zu erreichen. Wir haben beim Casting sehr stark darauf geachtet, dass wir Leute finden, die mit so einer Freiheit auch umgehen können, weil es auch Schauspieler gibt, die sich in so einer Situation unwohl fühlen. Es war wichtig, Darsteller zu finden, die alles geben und keine Angst davor haben, Fehler zu machen oder vermeintlich falsche Wege zu gehen, weil dadurch auch oft neue Wege aufgehen.
Wie war es für Sie persönlich, Ihren ersten Spielfilm zu machen?
Durch eine Oscarnominierung hat man natürlich wahnsinnig viele Vorteile. Die Aufmerksamkeit ist größer und weil die Leute einem aufeinmal zuhören und auch vertrauen, ist auch die Finanzierung leichter. Ich hatte die Option, diesen riskanten Film zu machen, der eben nur in einem Raum spielt und habe mir gedacht „Scheiß drauf, jetzt habe ich die Möglichkeit, vielleicht kriege ich die nie wieder, deshalb machen wir das jetzt einfach mal“. Beim Dreh steht man natürlich immer unter Druck, aber bei mir kam die Aufregung daher, dass ich mich gefreut habe, endlich meinen ersten Spielfilm machen zu können.
Mit Joseph Gordon Levitt hatten Sie einen internationalen Star vor der Kamera. Wie war es, mit ihm zusammenzuarbeiten?
Total toll, weil er ein hochprofessioneller und sympathischer Schauspieler ist, der alles gibt, was er kann. Er hat keinerlei Allüren am Set gehabt und hat sich nicht für wichtiger als alle anderen gehalten. Für einen Erstlingsregisseur ist er der perfekte Star, weil er einfach ein absoluter Profi ist. Durch seine 30jährige Berufserfahrung weiß er auch immer, sich den Lichtverhältnissen im Raum anzupassen. Der Kameramann war total begeistert, weil Joe immer wusste, sich im richtigen Licht zu positionieren und dadurch die Szene mitgestalten konnte.
Sie haben auf der Filmakademie Wien studiert. Konnte Sie das Studium auf die Arbeitsrealität entsprechend vorbereiten?
Ich finde, man konnte sich auf der Filmakademie wahnsinnig ausprobieren. Ich hatte die Möglichkeit mit 35-Millimeter Filmmaterial, Dollys, Stativen, Musik und einem Orchester zu arbeiten. Dann konnte ich auch Filme wie „Alles wird gut“ machen, eben ohne Musik, nur Handkamera, 360 Grad geleuchtet und geht schon. Was man halt nicht lernt ist, wie man mit einem großen Set länger als 5 Drehtage umgeht. Es gibt zehn Stunden Drehzeit. Punkt. Auf der Filmakademie dreht man dann halt noch eine Stunde länger, weil alle total motiviert sind, es ist nicht so, dass hier die Leute nicht motiviert wären, aber das Finanzielle spielt eine ganz andere Rolle. Bei der Regieübung im dritten Semester wird ja auch nach zehn Stunden das Licht ausgeschaltet, das sind dann schon realistische Bedingungen, aber das versteht halt keiner. Wenn es dann auf einmal heißt, jede weitere Stunde kostet uns dreißigtausend Euro mehr, dann muss man sich das zwei Mal überlegen.