Kino vs. YouTube vs. TikTok: Wo liegt die Zukunft des Films?
In seiner 126 Jahre langen Geschichte hat es der Film wie kaum ein anderes Medium geschafft, sich den technologischen Veränderungen anzupassen und sich immer wieder neu zu erfinden. Während das Publikum im 20. Jahrhundert nur die Wahl zwischen Kino und Fernsehen hatte, sind wir heutzutage rund um die Uhr von Bildschirmen umgeben. Durch das Internet hat eine fundamentale technische Veränderung stattgefunden, die die Frage aufwirft, wo die Zukunft des Films liegt.
Auch wenn wir sie oft nicht als Filme im klassischen Sinne wahrnehmen, sind TikToks und YouTube-Videos genauso Teil der Filmgeschichte wie "Star Wars", "Casablanca" oder "Triumph des Willens". Nur weil die Clips wenige Sekunden dauern und keine Millionenbudgets dahinterstecken, schließt sie das nicht von der Filmwelt aus. Im Gegenteil, gerade kurze Formate erreichen ZuseherInnenzahlen, die im Kino unvorstellbar wären.
Blockbuster
Um den Titel des kommerziell erfolgreichsten Kinofilms aller Zeiten konkurrieren zur Zeit "Avatar" und "Avengers Endgame". Beide Blockbuster haben weltweit rund 2.8 Milliarden Dollar eingespielt und zeigen, dass einer der Hauptgründe für einen Kinobesuch heutzutage darin liegt, ein Spektakel geboten zu bekommen. Bombastische Effekte und eine eindrucksvolle Tonkulisse kommen nirgends besser zur Geltung als im Kino.
Das Kino ist jedoch mehr als nur ein Raum, in dem man Filme mit technischer Höchstleistung sehen kann, sondern vor allem ein Ort der Begegnung, der uns vor Augen führt, dass wir soziale Wesen sind. Wir genießen es schlichtweg, mit einer Gruppe Menschen zusammen zu sitzen und gemeinsam in eine Geschichte einzutauchen. Diese kollektive Erfahrung ist die größte Stärke des Kinos – und wird vermutlich auch der Hauptgrund sein, weshalb die Lichtspielhäuser trotz aller Krisen auch in der Zukunft bestehen bleiben werden.
Streaming
Das Erste, wenn wir an Filme denken, ist zwar das Kino, aber durch das Internet haben sich Streaminganbieter und Videoplattformen etabliert, die ganz neue Aspekte des Mediums zum Vorschein bringen.
Netflix, Mubi, Amazon, Disney und Co. setzen mit ihren Angeboten hauptsächlich auf fiktive Filme und Serien, die direkt im Wohnzimmer angeschaut werden können. Durch die Kooperation mit zahlreichen talentierten AutorInnen, RegisseurInnen und SchauspielerInnen ist der Qualitätsunterschied zum Kino beinahe nicht existent. Eine Plattform, die jedoch vollkommen neue Wege für das Medium eröffnet hat, ist YouTube.
Das 2005 gegründete Videoportal hat es geschafft, mithilfe der digitalen Revolution in Bezug auf Filmkameras eine neue Ära in der Filmgeschichte einzuläuten. Fiktionale Filme, Dokus, Nachrichten, Homevideos, Animationen und Musikvideos sind hier gebündelt auf einer Plattform verfügbar und erzielen die größten Zugriffszahlen aller Zeiten.
Zurzeit steht das Kinderlied "Baby Shark" mit 8.1 Milliarden Aufrufen an der Spitze. Die gesamten Top 100 auf YouTube bestehen aus Musikvideos, was darauf schließen lässt, dass die ZuseherInnen mehr von der Musik als von den Videos begeistert sind.
Clips
Abgesehen von Musikvideos erreichten durch YouTube vor allem private Clips, die man als Kurzdokumentarfilme bezeichnen könnte, große Popularität. Während gängige Filmformate auf Drehbücher, SchauspielerInnen und eine Filmcrew zurückgreifen, bestechen diese kurzen Aufnahmen durch ihre entwaffnende Authentizität, die künstlich kaum herzustellen ist.
Sie halten sich nicht an dramaturgische Konventionen, ihre Kraft liegt in der Unmittelbarkeit des Moments, der für immer verloren wäre, wenn ihn nicht jemand durch die Kamera festgehalten hätte.
Durch YouTube und den Erfolg der Kurzdokumentarfilme sehen wir, dass die besten Geschichten noch immer das Leben schreibt. Süße Katzen, streitende Kinder oder ein peinlicher Moment auf der Straße – und auch wenn es absurd klingt, sind diese Clips die größte Errungenschaft des Mediums Film in den letzten 20 Jahren.
Sie zeigen uns, dass Menschen unterschiedlichster Sprachen und Kulturen von den gleichen Situationen berührt werden können. YouTube zeigt auch, dass die Stärke des narrativen Kinofilmes nicht in der Reproduktion von Alltagsmomenten liegt, sondern er vor allem gut darin ist, durch konkrete Figuren und Konflikte einen Kommentar zur Wirklichkeit abzugeben.
TikTok
Das Videoportal TikTok genießt vor allem bei jungen UserInnen große Beliebtheit. TikTok erfindet zwar nicht das Medium neu, aber zeigt, wie Film, Gaming und Performancekunst in Zukunft zusammenhängen könnten. Die erfolgreichsten TikTok-Videos zeigen Zaubertricks, Tänze oder Performances, in denen UserInnen gewisse Aufgaben erfüllen müssen. Das Publikum bleibt zwar noch immer in der BeobachterInnenperspektive, aber die Inhalte der Videos bestehen hauptsächlich aus den Handlungen der HerstellerInnen.
TikTok wird, wie viele andere Apps zuvor, mit der Zeit an Popularität verlieren, doch der Trend zu noch mehr UserInnen-Interaktion ist gewiss. Die große Frage wird sein, wie sehr der Inhalt durch den körperlichen Einfluss der NutzerInnen bestimmt wird. Entwicklungen im Bereich von Virtual Reality deuten daraufhin, dass die Grenze zwischen Realität, Fiktion und Gaming immer mehr aufgelöst werden wird.
Falsche Realität
Noch nie haben so viele Menschen bewegte Bilder konsumiert wie heute. Das Publikum wird immer jünger und die gesellschaftliche Verantwortung dadurch immer größer. Egal ob Blockbuster, dokumentarische Clips oder interaktive Videos, die größte Herausforderung für das Medium scheint es zu sein, sich als Medium erkennbar zu machen.
Gerade weil die Inhalte immer authentischer wirken, müssen ProduzentInnen und KonsumentInnen eine kritische Distanz zu den Bildern einnehmen. Jede Filmaufnahme kann höchstens nur ein Ausschnitt aus einer komplexen Realität sein, für die es viel mehr als das Medium Film braucht, um sie zu erkennen.