Josef Hader: "Die Provinz ist nichts Regionales"
Sieben Jahre ist es schon wieder her, dass Josef Hader seinen Einstand als Regisseur gefeiert hat. Damals erzählte er mit "Wilde Maus" die tragikomische Geschichte eines Losers. Nun kommt in "Andrea lässt sich scheiden" eine tragikomische Geschichte aus dem tiefen Niederösterreich, bei der diesmal eine – von Brigit Minichmayr gespielte - Frau im Mittelpunkt steht.
Aber auch Hader ist in einer wichtigen Nebenrolle mit dabei: Als Ex-Alkoholiker, der glaubt, auf einer nächtlichen Landstraße einen Mann überfahren zu haben, doch eigentlich einen bereits Toten überrollte. In Wirklichkeit hat die vor der Scheidung stehende Landpolizistin Andrea ihren Mann unabsichtlich mit dem Auto tödlich erfasst und aus Panik Fahrerflucht begangen. Nun entsteht zwischen der schuldbewussten Frau und dem vermeintlichen Todeslenker eine folgenschwere Beziehung.
Wenige Stunden vor der Wiener-Premiere im Gartenbaukino fand Josef Hader in einem St. Marxer Lokal noch Zeit für ein Interview mit film.at, denn "man darf sich vor allem nicht von der Hektik anstecken lassen", wie er gleich zu Beginn meinte.
film.at: Ihr Film hat ja erst vor wenigen Tagen auf der Berlinale seine Weltpremiere erlebt. Gibt es Ihrer Erfahrung nach große Unterschiede im österreichischen Humorverständnis und dem der Deutschen, vor allem Norddeutschen?
Josef Hader: Erstaunlich wenige, da die Norddeutschen einen trockenen und teilweise auch schwarzen Humor haben. Wahrscheinlich, weil England schon sehr in der Nähe ist. Und Irgendwie verbindet sich das dann gut mit dem schwarzen ostösterreichischen Humor.
Sie sind während der Vorführung sicherlich im Zuschauerraum gesessen und haben Beobachtungen angestellt?
Ich habe ganz genau zugehört, wie die Leute so reagieren. Als Kabarettist hat man den Startvorteil, dass man ein Publikum durch Hören gut abschätzen kann.
Waren Überraschungen dabei? Hat es zum Beispiel an Stellen Lacher gegeben, die Sie nicht nachvollziehen konnten?
Nein, es war ein sehr gutes Publikum, das auch sehr genau zugehört hat und ich war überrascht, wie viele Arten von Lachen da vorkommen, wie zum Beispiel das erstaunte Lachen; das schuldbewusste Lachen, dass man über so etwas lachen kann; oder das erschrockene Lachen…
Das Weinviertel ist überall
Wahrscheinlich kommt die norddeutsche Tiefebene der Film-Landschaft des Weinviertels auch ziemlich nahe. Sie hatten ja sozusagen einen Heimvorteil, weil Sie selber auf dem Land aufgewachsen sind, wenn auch in Oberösterreich und im Waldviertel. Herrschen dort ähnliche Verhältnisse wie im Weinviertel?
Die Landschaften sind zwar verschieden, aber die Mentalität ist, glaube ich, nicht nur in Oberösterreich und Niederösterreich sehr ähnlich, sondern auch in der genannten norddeutschen Tiefebene oder woanders. Wenn ich zum Beispiel auf Tour durch Deutschland fahre, bin ich am Land immer überrascht, dass alles so gleich aussieht und dass Provinz überhaupt nichts Regionales ist: es gibt immer dieselben Traktoren und ein bisschen auch immer dieselben Typen.
Sind Sie öfters in dieser Weinviertler Landschaft unterwegs, wenn Sie sich womöglich einmal zu wohl fühlen und etwas deprimierter heimkehren wollen?
Nein, da würde ich sehr gut gelaunt wieder heimkommen. Das Weinviertel ist eine sonnige Gegend und es gibt dort wunderschöne Sonnenaufgänge, die ich auf Grund meiner Lebensweise als Abendarbeiter aber meistens nicht erwische. Immerhin sind auch die Sonnenuntergänge herrlich und es ist eigentlich eine extrem positive Landschaft mit einer gewissen herben Schönheit.
Haben Sie vor Schreiben des Drehbuchs eigentlich viel Tschechow gelesen, um sich auf diese tragikomische Provinz-Tristesse einzustimmen?
Das ist eine schöne Frage. Eigentlich nicht: Ich bin während des Schreibens nur herumgefahren und habe ein bisschen nach der Gegend gesucht, aber es sprechen mich jetzt schon ein paar Leute auf Tschechow und Ödön von Horváth an – und das ist natürlich sehr ehrenvoll.
Birgit Minichmayr macht jedes Drehbuch besser
Würde die Geschichte auch unter umgekehrten Vorzeichen mit Gender-Tausch funktioniert haben? Wenn der Film also "Andreas lässt sich scheiden" geheißen und Sie einen Polizisten gespielt hätten, der seine Gerade-noch-Ehefrau unabsichtlich überfährt und Fahrerflucht begeht? Dann wäre Birgit Minichmayr in der Rolle einer Religionslehrerin zu sehen gewesen. Welche Unterschiede hätten sich dadurch ergeben?
Das wäre zwar auch ein interessanter Plot (lacht), aber ich habe es sehr spannend gefunden, dass die Frau am Land die Hauptfigur ist und zwar in einem Alter, in dem man im letzten Moment noch einmal neu beginnen kann. Da ist bei mir der Zug schon ein bisschen abgefahren. Ich kann mir eher überlegen, wie ich meine Altersteilzeit verbringe.
Hatten sie beim Schreiben schon von Anfang an eine Wunschbesetzung vor Augen?
Ja, während des Schreibens entsteht der Hauptcast schon im Kopf; dann stellt man ein möglichst gutes Drehbuch fertig und hofft, dass alle Ja sagen. Das hat hier auch in allen Fällen funktioniert.
Mit Birgit Minichmayr haben Sie seit "Der Knochenmann" nicht mehr zusammengearbeitet, was auch schon wieder 15 Jahre her ist. War sie sofort Feuer und Flamme, als sie das Drehbuch zu lesen bekam?
Ja, aber ich habe ihr auch erst die ungefähr 12. Fassung gezeigt und da hatte ich schon ein paar Fassungen mit ihr im Kopf geschrieben. Es hat ihr gut gefallen, aber sie konnte sofort sagen, welche Sätze sie unglaubwürdig findet – und da hatte sie völlig Recht. Die Birgit ist eine Schauspielerin, die ein Drehbuch um einiges besser machen kann. Vor dem Dreh gehe ich überhaupt mit allen Schauspielern bei Einzelproben die Texte durch und bin an ihren Ideen interessiert. So bewegt sich das Drehbuch auf die Schauspieler zu.
Beim Dreh selbst dürfen dann aber keinerlei Abweichungen mehr vorkommen?
Doch, schon, aber wir haben da schon sehr viel erledigt. Sobald man dann wirklich ans Set kommt, ändert sich trotzdem noch einiges, weil man direkt am Schauplatz immer noch auf Dinge draufkommt, die man sich bisher nicht vorstellen konnte.
Thomas Stipsitz musste schlechter singen
War Thomas Stipsits von der Aussicht begeistert, in erster Linie eine Leiche spielen zu müssen?
Ich hab zwar gedacht, der Thomas wäre einfach ideal für diese Rolle, aber dennoch sehr gezögert und mich gefragt: Kann man ihm das anbieten? Dann hat mir der Zufall geholfen: Wir sind bei einem Bier nebeneinander an der Bar im "Stadtsaal" gestanden und da habe ich mir ein Herz genommen. Ich hab ihm erzählt, dass ich es so wie in Hitchcocks "Psycho" machen möchte, wo der größte Star bald abhanden kommt und damit habe ich ihn überzeugt.
Seine Rolle ist ja auch ziemlich überraschend: Zunächst singt er auf der Geburtstagsfeier des Polizisten ein Lied und man glaubt, dass er so auftritt, wie man ihn eh schon kennt. Aber gleich danach zeigt er sich von einer völlig unerwarteten Seite, wie man ihn eigentlich noch nie gesehen hat.
Als ich wusste, dass er diese Rolle spielen wird, war mir klar: Er muss ein Geburtstagslied singen. Er hat dann eines verfasst und ich habe ihn angerufen, um ihm zu sagen: "Thomas, das ist viel zu gut, wir müssen uns zusammensetzen" und dann haben wir das Lied schlechter und holperiger gemacht. Ich habe ihn auch gezwungen, schlechter zu singen, als er's kann, mit einer schlechteren Gitarrenbegleitung – es war nicht einfach für ihn.
Jede einzelne der Figuren ist einprägsam und sogar die kleinste Nebenrolle erregt unser Interesse. Haben Sie selbst eine Lieblingsfigur?
Die von Maria Hofstätter, wenn ich denn eine nennen muss; den Robert Stadlober aber auch. Es war schon das Ziel, alle Figuren so erscheinen zu lassen, dass man mit ihnen einen eigenen Film machen könnte.
Ein Zwiebelkreisverkehr als Zufallsfund
Fühlen Sie sich mittlerweile als wirklich professioneller Regisseur?
Nein, das ist in diesem Leben nicht mehr möglich, dafür habe ich zu spät angefangen.
Aber Sie haben doch sicher durch den ersten Film Tricks gelernt, um sich die Arbeit zu erleichtern und Dinge zu vermeiden, die unnötige Zeit kosten.
Das Drehbuch noch einmal total kürzen vorm Dreh und Takes drehen, die unterschiedlicher sind, um am Schneidetisch verschiedene Möglichkeiten zu haben: das hatte ich mir vorgenommen und teilweise hab ich es auch wirklich gemacht. Beim Schnitt lasse ich mir dann gerne viel Zeit, denn was man nicht an Können hat, kann man teilweise durch Zeit ersetzen, indem man immer wieder nach Pausen draufschaut und so ein paar weitere Dinge entdeckt.
Kommen wir zum einprägsamen Kreisverkehr von Unterstinkenbrunn mit der riesigen Zwiebelskulptur in der Mitte. War Ihnen der auch schon vor den Dreharbeiten bekannt?
Wir haben ein Wirtshaus gesucht und als wir dann dieses Haus am Zwiebelkreisverkehr entdeckten, war uns klar: Jetzt sind wir am Ziel. Die Zwiebel ist uns sozusagen passiert.
Es gab aber schon zuvor die Bedingung, dass es ein Kreisverkehr sein muss?
Nein, überhaupt nicht, wir haben wirklich nur nach einer Gastwirtschaft gesucht.
Haben Sie jetzt die stille Hoffnung, dass dieser Kreisel einmal ähnlich berühmt sein wird, wie jener aus den Eberhofer-Filmen?
Ich mache keine Serien – da müsste ich drei oder noch mehr Filme mit diesem Ort drehen und das hab ich nicht vor. Ich möchte nicht, dass eine Location so berühmt wird, das behalte ich mir für mich selber vor (lacht).
Die Kreisstruktur im Film war aber angelegt, indem das erste und das letzte Bild einander gleichen. Ich werde mit jetzt jedoch kein Beispiel daran nehmen und wieder mit der Berlinale beginnen, sondern bedanke mich herzlich, dass Sie sich die Zeit genommen haben.
Gerne.
"Andrea lässt sich scheiden" läuft derzeit in unseren Kinos. Hier geht's zu den Spielzeiten