"Die Nanny" wird 30: Wie gut ist die Kult-Sitcom gealtert?

30 Jahre "The Nanny": Kommt die Reunion?
Es gibt Sitcoms, die schaut man einmal an, lacht einmal und gut ist's. Und dann gibt es "Die Nanny". Humor-Gold mit Hang zur Feminismus-Extravaganz.

Das geht gar nicht: "Die Nanny", eine der beliebtesten und erfolgreichsten Sitcoms der 1990er, angeführt von der derzeit sehr angriffslustigen und knallhart verhandelnden SAG-AFTRA-Präsidentin Fran Drescher, ist aktuell nur auf Maxdome zu sehen, einem vergleichsweise eher kleinen Streaming-Portal. Prime Video hat vor kurzem alle sechs Staffeln aus seinem Programm genommen. Netflix scheint am "Will they – Won't they" zwischen Ms. Fine "Mr. Sheffiiiield!!" ebenso nicht interessiert zu sein. Nachzuvollziehen ist das aus mehreren Gründen nicht.

Was auch nicht geht: "Die Nanny" wird im November dieses Jahres 30 Jahre alt. Auch das ist aus gleich mehreren Gründen beinahe inakzeptabel: Erstens, weil wir uns dadurch alt fühlen. Zweitens, weil Ms. Fran Fine herself sich als ewig 29-Jährige ausgab. Die große 3? Da hätte Fran lieber, wie ihre liebe Mami, zuerst den Kopf in den Backofen gesteckt – natürlich nur, um den darin bereitgestellten Schokokuchen zu verputzen. Aber irgendwann müssen wir uns eben alle der knallharten Realität stellen.

"Die Nanny" wird 30: Wie gut ist die Kult-Sitcom gealtert?

"Die Nanny"-Cast

Simpel und vielschichtig zugleich

Eine Realität, die im Jahr 2023 fragt: Ist "Die Nanny" (die Serie, aber auch die Figur) gut gealtert? Eine Realität, die die Vergangenheit in Retrospektive unangenehm politisch unkorrekt und als gar nicht so viel besser, wie's früher angeblich war, entlarvt? Kann da ein sympathisch-prolliges Kindermädchen aus Queens, NYC, mit hochtoupierter Frisur, schriller Stimme, ultrakurzen Röcken, extrahohen High Heels und der ewigen Suche nach Mr. Right mithalten?

Ja, sie kann. Weil "Die Nanny" (die Serie, aber auch die Figur) vielschichtiger ist, als sie auf den ersten Blick wirkt. Das Konzept selbst ist aber herrlich simpel und dadurch umso mehr effektiv, denn nicht immer braucht es wildes Herumtollen auf der dramaturgischen Spielwiese á la "How I Met Your Mother":

In "Die Nanny" "prallen zwei Welten aufeinander", so Drehbuch-Professor Timo Gößler von der Filmuniversität Babelsberg im Interview mit der APA. Damit meint er natürlich die Nanny aus der Queens, die das reine Herz auf der Zunge trägt, und den stinkreichen, aber versnobten und emotional verkümmerten Broadway-Produzenten Maxwell Sheffield, der nach dem Tod seiner Frau die drei Kids alleine aufziehen muss. Als Fran das Kindermädchen wird, bleibt natürlich kein Stein auf dem anderen, inklusive altbewährtem "Kriegen sie sich oder nicht?"-Spiel. "Anarchie" nennt das Gößler. Und wenn die Anarchie zum Normalzustand wird, dann entstehen Sternstunden des Sitcom-Genres.

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Fran Fine und BFF Val

Klischees, aber keine Charakterschablonen

Wenn Gößler weiter davon spricht, dass "Die Nanny" alles habe, was eine gute Sitcom braucht, dann sind natürlich auch die hervorragenden Nebencharaktere gemeint, angefangen vom frechen Butler Niles über Sheffields kaltherzige Geschäftspartnerin C.C. (die sich mit Niles zum Niederknien geniale Fehden liefert) bis hin zu Frans exzentrischer Mama, senil-liebenswürdiger Oma und ihrer BFF Val, die nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte ist.

Klischees? Natürlich. Aber keine Charakterschablonen. Bunte Comic-Figuren, aber nie lächerlich, dafür liebenswert-schrullig. Der exzellente Cast versteht es, aus "been there, done that"-Figuren originelle, vor allem dreidimensionale Figuren zu machen. Dass alle Figuren der Serie auf Menschen in Fran Dreschers echtem Leben basieren, ja gar Fran Fine eine überspitzte Karikatur von Drescher ist, verleiht der Serie eine faszinierende Meta-Ebene und eine bodenständige Authentizität, seien die Outfits auch noch so verrückt, die Konserven-Lacher auch noch so laut und die Stimmen auch noch so schrill. Der Wiedererkennungswert und Identifikationsfaktor der Charaktere sind enorm, auch 30 Jahre nach dem Seriendebüt.

"Die Nanny" wird 30: Wie gut ist die Kult-Sitcom gealtert?

Fran Drescher aka Fran Fine 

Feminismus mit Leichtigkeit 

Dreh- und Angelpunkt der Serie ist aber natürlich Fran Fine/Drescher, beide natürlich, die Grenze ist fließend. Dass Drescher die Serie erfand und maßgeblich an den Drehbüchern beteiligt war, spricht für ihr kreatives Genie. Dass von ihren privaten Schicksalsschlägen (Überfall, Vergewaltigung, Brustkrebs) niemals etwas in der Serie zu spüren ist, zeugt von übermenschlicher Stärke. Fran Drescher sowie Fran Fine sind diese Art von Typen, wie man sie selbst in der heute so ausufernden Serienlandschaft sehr selten findet.

Outfits, Style, selbstironische und durchaus kühne Gags – Drescher ist eine (jüdische!) Sitcom-Ikone, die Feminismus neu definierte und ihm eine Leichtigkeit zurückgibt, nach der wir uns heute manchmal sehen. Obwohl Fran stets auf der Suche nach einem Ehemann ist, wirkt sie in keiner Sekunde schwach oder hilfsbedürftig – ja, manchmal verzweifelt, aber dann derart over-the-top, dass das Konzept des "schwachen Weibchens an der Seite des starken Mannes" schon wieder herrlich ad absurdum geführt wird. Weil wir wissen: Es ist Maxwell, der ohne Fran aufgeschmissen wäre. Nicht umgekehrt.

Selbstbestimmte Weiblichkeit

Zudem ist Fran Fine unter der schrillen Oberfläche auch eine beinahe tragische Figur: Von Beginn an wurde sie von ihrer Mutter zur Ehe gedrillt, wurde ihr eingetrichtert, nur als Ehefrau etwas wert zu sein. Der Vater ist abwesend, eine männliche Vorbildfigur hat sie keine in ihrem Leben. Wenn Fran in Staffel 4 versucht, den Männern abzuschwören, wenn sie versucht, sich gegen veraltete Vorstellungen der gesellschaftlichen Rolle der Frau zu wehren, dann ist das (saukomische) Gesellschaftskritik de luxe und ein persönliches Wachstum, wie man es nur selten in Sitcoms zu sehen bekommt – ganz ohne Holzhammermethode (aber auch nicht so subtil, dass ihn niemand versteht).

Und wenn Fran Max später zwingt, ihr ganz klar seine Liebe (nochmals, denn wer bitteschön nimmt denn "diese Sache" zurück?!) zu gestehen, dann wird klar: In dieser Beziehung hat eindeutig die Frau die Hosen an. Oder eher: den Minirock im Leopardenmuster, denn dass Feminismus und Style sich widersprechen würden, dem widerspricht Fran Fine ganz und klar. Frans Outfits erleben seit geraumer Zeit ein Revival, die Instagram-Seite "whatfranwore" folgen rund 380.000 User:innen. Eine Museumsausstellung (u.a. in New York) widmete sich den besten Styles der Serie.

Kurz: Sexualität und Weiblichkeit ist in "Die Nanny" stets selbstbestimmt, Träumereien der eigenen Hochzeit hin oder her.

Ein Feuer, das immer noch brennt

Und die Storys selbst? Können die mit der originellen Hauptfigur mithalten? Gegen Ende sind Ermüdungserscheinungen zugegeben klar zu bemerken, aber zum Großteil ist das Erzähltempo rasant, die Plots herrlich over-the-top, dass sich selbst Ryan Murphy davon ein Stück abschneiden kann, die Gags kommen im Sekundentakt, ohne jemals aufdringlich zu sein (und sind auch nach dem x-ten Bingen immer noch zum Zerkugeln), die Dialoge genauso ein blitzschnelles Pin-Pong-Duell wie bei den "Gilmore Girls" und die Gaststars sind bemerkenswert.

Drescher selbst zeigt sich in jeder einzelnen Episode grenzenlos enthusiastisch, verkörpert sich selbst Fran Fine mit Leib und Seele und einer wuchtigen Präsenz, die einzigartig ist. Slapstick-Einlagen und Pointen-Timing hat Drescher genauso gut drauf wie emotionale Momente – die natürlich nicht still sind, denn "Die Nanny" (die Serie, aber auch die Figur) ist ein Sitcom-Feuer, das sich einfach nicht löschen lässt. Auch 30 Jahre später nicht. 

Wieso "Die Nanny" außerdem immer noch eine Serie der Gegenwart ist, könnt ihr hier lesen.