"Babylon Berlin": Tom Tykwer spricht über 4. Staffel
Schon vor der Premiere der vierten Staffel der deutschen Hitserie "Babylon Berlin" haben die drei Regisseure eine gute Nachricht für Fans: "Es kann auf keinen Fall hier aufhören", versicherte Tom Tykwer ("Lola rennt") im Gespräch mit Journalisten in Berlin. Neues gibt es aber bereits in Staffel 4: Von den Goldenen Zwanzigern bewegt man sich nun in die frühen 1930er-Jahre - und setzt sich erstmals näher mit dem Nationalsozialismus auseinander. Ab 8. Oktober bei Sky.
"Zuvorderster Protagonist" der Serie sei die Stadt Berlin - und die sei ab dem 30. Jänner 1933 und der Machtergreifung Adolf Hitlers eine andere, ein natürliches Ende der Serie um die Ermittler Gereon Rath (Volker Bruch) und Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries), die auf Kriminalromanen von Volker Kutscher basiert, sei also absehbar, meinte Tykwer, der gemeinsam mit Henk Handloegten und Achim von Borries bei der Serie Regie führt. Während die 4. Staffel nun am Silvesterabend 1930/31 mitten in einer politischen wie wirtschaftlichen Krise startet, steckte man während der Dreharbeiten inmitten eines anderen Ausnahmezustands: Wegen der Coronamaßnahmen habe der Dreh, der von März bis September 2021 dauerte, 1,5 Millionen Euro mehr gekostet, erzählte Tykwer.
Was für die Serie eine Novität ist, ist abseits davon eine vielerzählte Geschichte. Die Herausforderung sei gewesen "jenseits der Bilder, die jeder Mensch sofort im Kopf hat", über die Nazis zu erzählen und auch bis dato weniger belichtete Aspekte zu thematisieren - etwa "Graben- und Flügelkämpfe innerhalb der Bewegung", so Achim von Borries. Ein weiterer eher ungewöhnlicher Zugang: Man wolle die Entwicklungen "aus der Perspektive von damals und nicht aus der Zukunft" beleuchten - sprich: ohne Wissen und Gewissheit über die folgenden Entwicklungen. "Es sollte oder musste gar nicht zwangsläufig darauf hinauslaufen, was man 1933 erlebt hat", meinte von Borries mit Verweis auf die inneren Streitigkeiten. In der Serie tritt der SA-Führer Walther Stennes (Hanno Koffler) auf, der sich historisch gegen die NSDAP-Führung engagierte.
Die Regisseure und Autoren bemühten sich schließlich um ein facettenreiches Porträt der Nazis - neben hassenswerten Figuren stehen jene Menschen, die sich mit den Auswirkungen der Wirtschaftskrise im Stich gelassen fühlten und sich an Hoffnungsträger wandten, die gegen das Etablissement aufbegehrten, so Tykwer. Wie anders man damals über Nationalsozialisten dachte, zeige sich etwa in einer Szene, in der Rath sich seinen Kollegen als Mitglied der SA zu erkennen geben muss - was in dieser Runde nicht beurteilt werde. "Heute würde jeder den Mann anschreien und sofort entfernen", meinte Handloegten. Welche der Protagonistinnen und Protagonisten sich ebenfalls von den Nationalsozialisten mitreißen lassen, werde sich zeigen - es könnten "möglicherweise mehr sein, als es einem recht ist", so Tykwer.
Er spricht von einer Mischung aus Fragilität und Aufbruchsstimmung, die technische Revolution habe sich in "Torpedogeschwindigkeit" vollzogen, was überfordernd gewesen sei. Das rasende Tempo der Entwicklungen jener Zeit sieht auch Schauspieler Christian Friedel, der den Polizeifotografen Reinhold Gräf gibt, als Parallele zur Gegenwart. Es gebe derzeit nur mehr gut oder schlecht, richtig oder falsch, Diskussionskultur und gemeinsame Kompromissfindung würden fehlen. Wohin Frust über politische Entscheidungen wie Coronamaßnahmen führen könnte, "möchte ich mir gar nicht ausdenken". Indem man wie in "Babylon Berlin" Geschichten über solch aufgeladene Zeiten und ihre Folgen erzähle, könne man, hofft Friedel, Menschen vielleicht die "Augen öffnen" und sie dazu anregen, Sachverhalte zu hinterfragen.
Die Frage, wie "nach so einer Zeit die Frau in den 50er-Jahren wieder hinter dem Herd verschwinden" kann, dränge sich auf, sagte Handloegten, der von modernen 1920er-Jahren berichtet. Seine Figur Gräf sehe in dieser Staffel, dass es sich in einigen Jahren als homosexueller Mann nicht mehr so einfach leben lassen werde, meinte Friedel. Für Frauen sei damals auch viel noch nicht möglich gewesen, meinte hingegen Liv Lisa Fries, deren Charlotte als Kriminalassistentin auch vor der Machtergreifung der Nazis oftmals die einzige Frau in einer Männerrunde ist.
Ihre Figur, deren Einstehen für ihre Haltung Fries inspirierend findet, lasse in der 4. Staffel mehr Verletzlichkeit und Nähe zu. Emotional wird es für sie etwa dann, als sie für ihre Schwester Toni (Irene Böhm) ihren Job riskiert. Als "bis dato das Anstrengendste, was ich gemacht habe" hob Fries allerdings den Tanzmarathon im Serienkultlokal Moka Efti hervor. Sie empfinde eine Affinität zu der Zeit, in der es ihrer Meinung nach "großes Potenzial und große Leidenschaft" gegeben habe, und die ihr näher sei "als der Plastikstuhl und die Schnelllebigkeit der Moderne". Nach dem Dreh suchte Fries, die im Interview Kurzhaarschnitt trägt, allerdings Abstand: "Ich habe mir nach der letzten Staffel die Haare abrasiert, weil ich mich davon trennen musste oder wollte."
Die vierte Staffel von "Babylon Berlin" ist ab dem 8. Oktober auf Sky zu sehen.