Lonesome (Solitude)
USA , 1928
Der Film ist ein Geschenk an das Kino und an die Stadt New York, den klassischen Topos der Moderne. Gleichzeitig eine schwerelose Unterweisung, wie eine genaue Stadtbeobachtung mittels märchenhafter Züge zu sich selbst und zu einem Vorschein des Neuen findet. «Die Erkenntnis der Städte ist an die Entzifferung ihrer traumhaft hingesagten Bilder geknüpft», schreibt Siegfried Kracauer. Lonesome war sein erklärter Lieblingsfilm. Gerhard Gruber wird die stumme Fassung am Klavier begleiten.
Ein Samstag in New York. Der Wecker, der mahnende Zeittakt, ruft zur Arbeit. Mary, eine Telefonistin, und Jim, ein Arbeiter, beginnen ihren Tag, einzeln für sich, in einem kleinen gemieteten Zimmer, so anonym wie unverdrossen. Jeder Handgriff ein Ritual, jeder Blick auf die Uhr ein strengeres Diktat zur Eile. In der U-Bahn und während des Frühstücks im Diner vervielfältigen sich die Parallelexistenzen. Die Waggons quillen über vor Angestellten in Hast, von der Self-Service Theke des Lokals werden im Schlagtakt die Kaffeetassen entnommen. Die Stadt und die Ökonomie bestimmen ihre Bewohner.
Zu Mittag endet die Arbeit. Vor den Toren der Büros und Fabriken warten die Freundinnen und Freunde. Paare ziehen in den Nachmittag und das Vergnügen, Mary und Jim gehen jeweils allein nach Hause. Gelangweilt wird in Journalen geblättert, das Fortbildunsgbuch achtlos beiseite gelegt. Von der Straße locken beschwingte Rhythmen, fröhliche Gesichter. Spruchbänder auf einem Bus werben für einen Besuch auf Coney Island. Mary und Jim schenken den Slogans Vertrauen. Sie machen sich fein und auf den Weg. Schon auf dem Doppeldeckerbus sticht Jim die Frau auf der vorderen Sitzreihe ins Auge. Er sucht den Kontakt im Nachmittagsgewimmel Coney Islands. Am Strand lernen sich die beiden kennen. Jeder spielt keck eine Rolle vor. Er als Dandy, der sich ausnahmsweise unter die Leute mischt, sie als feine Dame, die für ein paar Stunden die Klasse wechselt. Doch rasch wird klar, dass ihre Träume aus denselben Wochenromanen gespeist werden und sie ihren Alltag lohnarbeitend verbringen. Mary und Jim vergessen die Zeit. Sie reden, schlendern nachts durch die schillernden Attraktionen des Vergnügungsparks, tanzen, glauben an die Zukunft. Federleicht fühlt sich das Leben an, bis ein Achterbahnunfall sie trennt. Verzweiflung greift. Strömender Regen treibt Mary und Jim einsamer denn je in ihre Behausungen zurück. Lonesome macht sie zum Reich der echten Märchen.
(Text: Viennale 2004)
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