LETZTES ABENDMAHL BEIM ERSTEN MORGENKAFFEE

Propheten haben immer einen langen Bart, weil sie uralt, eben alt-testamentarisch, sind. Heutzutage gibt es ja so etwas überhaupt nicht mehr – oder etwa doch? Karl Markovics weiß es besser und präsentiert uns einen zeitgemäßen völlig bartlosen Propheten – schließlich handelt es sich auch um eine Frau, dargestellt von Ulrike Beimpold. Sie spielt eine ganz normale Durchschnittsbürgerin aus Bruck an der Leitha, die in einem Supermarkt arbeitet und eine nicht gerade sehr aufregende Ehe führt, weil sich unübersehbar der Alltagstrott breit gemacht hat. Im Grunde haben wir es hier mit den Prototypen von Herrn und Frau Österreicher zu tun (wenn es auch nicht unbedingt typische Deix-Figuren sind).

Doch eines Tages bricht unvermittelt das große Andere ins Leben der Frau ein: sie hört plötzlich Stimmen in ihrem Kopf und weiß erst nicht, wie ihr geschieht. Kein Wunder, dass sie einen ziemlich weggetretenen Eindruck erweckt, weil sie nur noch vor sich hin lauscht. (Ein Zustand, in dem man besser nicht Autofahren oder heißen Kaffee einschenken sollte.) Erst nach einiger Zeit ist ihr dann klar, wer da mit ihr spricht: so unglaublich es auch klingen mag - Gott persönlich hat mit ihr Kontakt aufgenommen. Daraufhin entwickelt sie jene typischen Verhaltensmuster, die wir von den anfangs genannten Propheten kennen: sie hat immer mehr geistige Aussetzer, bricht völlig mit ihrem gewohnten Leben, verschwindet von daheim und sucht die Einsamkeit unter freiem Himmel in Feld, Wald, Wiese und am Bachrand, wo sie auch die Nächte verbringt.

Das alles klingt jetzt sehr ernsthaft und bedeutungsschwanger, aber Markovics lässt zugleich humorvolle Zwischentöne aufklingen und einmal inszeniert er dann sogar so etwas wie ein morgendliches Letztes Abendmahl in einem Baucontainer: die Frau übernimmt als Vorsitzende an der langen Tafel im schmalen Raum die Rolle des Erlösers, während zwölf frühstückende Bauarbeiter ihr staunend beim Kaffeetrinken zusehen. Das kommt schon sehr nahe an Luis Buñuels geniale Abendmahl-Parodie aus „Viridiana“ heran.

Wenn sich dann als Resümee der kräftezehrenden Heimsuchung die Frage an den Ehemann aufdrängt: „Wann warst du das letzte Mal wirklich glücklich?“ und auf dessen ratlose Antwort ein „Siehst du, das ist auf jeden Fall zu wenig!“ folgt, erscheint das ein etwas mageres Ergebnis, denn zu einer ähnlichen Erkenntnis wäre man zur Not auch wesentlich leichter in einem Lebenshilfe-Seminar oder bei der Eheberatung gekommen. Natürlich liegt es ganz bei uns, zu entscheiden, ob die Frau nun wirklich einen direkten Draht nach Oben gefunden hat oder einfach ein exquisiter Fall für den Psychiater ist, aber wie Ulrike Beimpold das spielt, ist jedenfalls genial.

Möglicherweise wird Markovics mit seinem zweiten Spielfilm kein ähnlich großes und v.a. jugendliches Publikum ansprechen können, wie ihm das bei „Atmen“ gelungen ist, aber im Vergleich zu den Dinge, die derzeit im Namen eines anderen Propheten getrieben werden, erscheint die spezielle Gotteserfahrung hier wenigstens als geradezu erfreulich harmlose Privatangelegenheit.

8 von 10 Teilzeitprophet(inn)en.