Im Bereich zwischen Inventur und Träumerei, zeigt dieser Film die Statuen von Frauen, die Balkone, Fenster- und Türstürze, Kapitelle oder Lampen tragen, die Karyatiden, benannt nach den Frauen von Karye in Griechenland, die von ihren Bezwingern so dargestellt wurden, damit sie die Spuren ihrer Erniedrigung tragen sollten. Sie sind immer zu zweit, nackt oder verhüllt, die in Paris stammen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als Baudelaire «Les Fleurs du Mal» schrieb und Offenbach «La Belle Hélène» komponierte. Agnès Varda, «Ciné Bulletin», Montreal 1986 Ich spazierte durch Paris, ich las, und das Thema verdichtete sich, als ich bemerkte, dass die meisten Pariser Karyatiden aus den 1860er Jahren stammen. Sie tauchten im Lauf dieses Jahrzehnts auf den Gebäuden auf, das kulturell so reich war mit Flaubert, Delacroix, Marx und seinem «Kapital», Offenbach und seiner «Schönen Helena» und vor allem Baudelaire, der mich fasziniert. Ich höre seine Stimme, seine Gedichte wohnen in meinen Ohren. Die Assoziation war gemacht und der Film geboren: die Karyatiden zur Zeit der letzten Jahre Baudelaires. Wir, deren Beruf es ist, zu schauen, sehen zu lassen oder zu informieren, wir schauen nie genug. Ich wusste von rund einem Dutzend Karyatiden; doch ich fand an die fünfzig. Mir fiel auf, dass die Bildhauerkunst dieser Epoche, wie auch die Literatur, Klischees wiederholte. Die Atlanten, die männlichen Gebälkträger, werden in Positionen dargestellt, die Anstrengung und Kraft zum Ausdruck bringen bis hin zur Verkrampfung. Und die Karyatiden, die weiblichen Säulenfiguren, erfüllen ihre Aufgabe voller Charme, Anmut und Schönheit! Das ist schon komisch, denn die Gebäude haben für alle dasselbe Gewicht. Und dann bemerkte ich noch, dass von zwei Karyatiden eine oft nackter ist als die andere, und zwar meistens die rechte, warum? «Dank Agnès Varda, die Karyatiden und Atlanten gefilmt hat, diese Statuen, die seit 100 Jahren unerschütterlich die Kapitelle, Stürze und Balkone der Pariser Wohnhäuser stützen, atmen wir einen Hauch von Poesie. Trotz des gezierten Kommentars der Regisseurin empfinden wir auf einmal Freundschaft und Interesse für diese namenlosen Riesen und Jungfrauen.» (Rezension von Florence Tredez, «France-Soir», 26. April 1984) Agnès Varda «Varda par Agnès» Cahiers du Cinéma & Ciné-Tamaris, 1994 (Übersetzung von Petra Metelko)
(Text: Viennale 2006)
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Details
- Regie
- Agnès Varda
- Kamera
- Cyril Lathus, Jean-Pierre Albasy
- Author
- Agnès Varda
- Musik
- Jean-Philippe Rameau, Jacques Offenbach