Kurz davor ist es passiert untersucht das globale Phänomen des Frauenhandels und die Mechanismen und Machtsysteme, welche diese moderne Form der Sklaverei quer durch alle Gesellschaftsschichten ermöglichen. Anja Salomonowitz wählt einen ungewöhnlichen Zugang zum Thema: Ihr Film basiert auf den realen Erzählungen von Opfern, aus denen die Regisseurin ein semidokumentarisches Drehbuch erarbeitet hat. Die Geschichten werden nicht von Schauspielern und Schauspielerinnen, sondern von Menschen nacherzählt, die mit den Ereignissen und Orten des Films in einer Beziehung stehen könnten, sei es als unbeteiligt Mitwissende, sei es als Beteiligte auf beiden Seiten des Gesetzes. Ein Film über falsche Versprechungen, Ausbeutung, Schuld, Gewalt und Enttäuschung. Der Film bringt die Erzähllogiken von filmischer Fiktion und Dokumentation in ständig neue Beziehungen zueinander: Stilisierte Bilder geben Einblicke in den Alltag eines Grenzbeamten, eines Bordellkellners, einer Nachbarin, einer Konsulin und eines Taxifahrers. Die Sequenzen sind zu konstruiert, um dokumentarisch zu sein, der Alltag wird zum Filmischen verfremdet - die Menschen, Orte und Situationen sind aber real. Die Oberfläche der Bilder wird von anderen Geschichten durchbrochen, die als Texte rezitiert werden. Alle Orte, die der Film zeigt, kommen in den realen Geschichten der Frauen vor. Sie erzählen von Wirklichkeiten, die geschehen sind, und die an den Orten, die gezeigt werden, geschehen hätten sein können. Indem das Dokumentarische, das Konstruierte, das Narrative sich ständig gegenseitig unterlaufen, entsteht der Effekt einer doppelten Verfremdung, die jegliche Identifikation mit den Protagonisten verweigert. Damit arbeitet der Film die Momente der Verstrickung des Alltäglichen mit den Geschichten des Frauenhandels heraus. (Nora Sternfeld)
(Text: Viennale 2006)
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Details
- Regie
- Anja Salomonowitz
- Kamera
- Jo Molitorisz
- Author
- Anja Salomonowitz
- Musik
- David Salomonowitz, Florian Richling
- Verleih
- Polyfilm Verleih