In einer Art Niemandsland und Nicht-Zeit ereignen sich die Dinge für den Karl Rossmann, und doch ist alles zugleich höchst konkret. Sie hätten versucht, sagt Straub, wie Chaplin zu gehen, mit einem Fuß in der Fiktion, mit dem anderen im Dokumentarischen. Und damit macht man die wunderschönsten Sprünge, zu sehen in Klassenverhältnisse. Die Dicken und die Dünnen Der Titel verschiebt, verdrängt, er schneidet Erwartungen ab, die sich einstellen, wenn man hört, daß die Vorlage zum Film Kafkas Amerikaroman «Der Verschollene» ist. Deleuze und Guattari in ihrer Studie über Kafka sprechen von deterritorialisieren. Der Titel schafft, als Lüster, die allgemeine Beleuchtung, in die die Regisseure ihren Film getaucht sehen möchten. Karl Roßmann ist ein von seiner Familie Verstoßener, ein Ausgesetzter, dazu noch ein halbes Kind. Was ihn in Kafkas Augen aber nicht nur zu dem armen Opfer macht, dem Stück für Stück, je weiter es in die neue Welt eindringt, sein armseliges Erbe abhanden kommt. Er ist auch der Freigelassene, dessen Fehltritte und -entscheidungen ihn positiv lösen von der Vergangenheit. Es ehrt ihn, wie er, mehr für andere als für sich selbst, auf das Recht, auf das ein jeder Anspruch hat, pocht. Aber die Ungereimtheit der Verhaltensweisen und Ereignisse wie es sich aus seiner Perspektive und der des Lesers/Zuschauers darstellt zeigt, wie diese Gerechtigkeit mit einer gewissen Logik verquickt ist, daß er in einer Art logischer Verstocktheit an der Sprache hängt und Sprüche macht und Urteile fällt. Was mehr mit Sprache zu tun hat als mit ihm selbst. Und so stellt sich der Eindruck her, daß außerhalb der Sprache mit ihren Gesetzlichkeiten noch anderes Leben in völlig anderen Zusammenhängen funktioniert. Getrennte Welten. ... (Frieda Grafe)
(Text: Viennale 2004)
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Details
- Regie
- Danièle Huillet, Jean-Marie Straub
- Kamera
- William Lubtchansky, Caroline Champetier, Christophe Pollock
- Author
- Jean-Marie Straub, Danièle Huillet