JOHNNY DEPP ALS ABSOLUTER CYBER-GEIST
Bestimmt hat schon der eine oder andere - vorzugsweise weibliche - Fan von Johnny Depp bei dessen Anblick gehaucht: Oh Gott, Johnny. Mit Transcendence gewinnt diese Äußerung der ergriffenen Verehrung aber eine ungeahnte weitere Bedeutung oder sagen wir gleich: transzendiert ihre bisherige Ebene. Als Dr. Will Castor erleben wir nämlich Johnny Depp in seiner bisher machtvollsten Rolle. Der Experte für Künstliche Intelligenz erlangt nach seiner Ermordung durch eine Gruppe technikfeindlicher Extremisten ungeahnte Fähigkeiten, da sein Geist dank dem Einsatz seiner Frau noch rechtzeitig in einen Computer eingespeist werden konnte.
Als diese neue Existenzform dann auch noch die Verbindung zum WWW herstellen kann, sind ihrer Expandierfreudigkeit keine Schranken gesetzt. Als gottgleicher Schöpfer kriecht der grenzenlos intelligente Cyber-Doktor den Menschen unter die Haut bis ins Gehirn und macht sie zu einem Teil seiner selbst. Aber auch die restliche Materie gehorcht seinen Kräften: der Einflussbereich erstreckt sich bis in den kleinsten Regentropfen und ruft dadurch mächtige Gegner auf den Plan, die alles daransetzen, die Welt vor einer totalen Versklavung durch den transzendierten Will Castor zu bewahren. Ist dieser Supercomputer tatsächlich ein böser Dämon oder ein wohlmeinender Gott, dessen gute Absichten die Menschen nur nicht richtig einzuschätzen wissen? Die Zuschauer werden im Lauf des Films ihre Meinung zu diesem Punkt zweifellos ein paar Mal ändern.
Wer sich über den Namen des Regisseurs vorab nicht informiert hat, könnte ohne weiteres auf die Idee kommen, in Transcendence ein weiteres Werk von Christopher Nolan zu sehen, denn der Film trägt in Machart und Aufbau der Geschichte deutlich seine Züge und steht durchaus in einer Reihe mit Inception. Der Verdacht ist auch nicht unbegründet, denn Nolan hat sich hier als ausführender Produzent betätigt, um seinem bisherigen Stamm-Kameramann Wally Pfister dessen erste Regiearbeit zu ermöglichen. Dabei ist ein intelligenter SciFi-Thriller herausgekommen, der dennoch nicht restlos überzeugt. Schon in Anbetracht der Besetzung ist das Werk nicht durchwegs geglückt: Morgan Freeman hat in seiner kleinen Rolle kaum etwas zu tun, und die Fraktion der Technikfeinde wirkt eher unfreiwillig komisch (die Anführerin der streitbaren Gruppe scheint ein Klon von Buffy der Vampirjägerin zu sein).
Johnny Depps menschliche Existenz endet zwar schon nach rund 40 Minuten, doch auch in den restlichen eineinhalb Stunden bekommt er genug zu tun, denn seine Stimme ist allgegenwärtig und sein virtueller Körper kehrt ebenfalls mit stoischem Gesichtsausdruck auf diversen Bildschirmen wieder. Durch sein Erscheinungsbild in diesem Film macht uns Johnny jedenfalls eines deutlich: falls einmal ein Biopic zu Peter Handke geplant sein sollte, hat man in Mr. Depp den idealen Hauptdarsteller gefunden. 8 von 10 Cyber-Punkten.