JEANNE D´ARCWITTCHEN
Diese fiktive Prinzessin regt Hollywoods Phantasie auch lange nach Walt Disneys Tod noch mächtig an, aber 2012 wurde eindeutig der Höhepunkt in diesem Nachdenk-Prozess erreicht: innerhalb weniger Wochen kommen gleich zwei verschiedene Fassungen des Märchen-Klassikers in unsere Kinos - beide starbesetzt, doch so unterschiedlich wie möglich. Während Tarsem Singh fürs Zwergentreiben eine Herangehensweise wählte, die mit etwas bösem Willen als amerikanische Antwort auf Ottos 7 Zwerge gelten könnte, orientiert sich Rupert Sanders eindeutig eher an Martial Arts-Filmen, was aber nicht heißen soll, dass er nun etwa à la Sucker Punch den Killerinstinkt im schneeweißen Mädchen wachkitzelt.
Das schöne Kind wird bei ihm höchstens zu einer zweiten Jeanne dArc ( Sanders selbst sieht sie laut eigener Aussage eher als weiblichen Luke Skywalker) und gesellt sich zeitgerecht zur großen Entscheidungsschlacht in blitzender Rüstung dem kleinen Heer der Getreuen bei. Ihre Kampfkünste beschränken sich hingegen auf eine vom Jägermeister (Thor-Darsteller Chris Hemsworth) in einem flüchtigen Moment kurz beigebrachte Abwehrbewegung: mehr bedarf es aber vielleicht auch gar nicht, um alles einem guten Ende entgegenzuführen, weil wir uns nichtsdestotrotz in einem Märchen befinden.
Übrigens werden alle vertrauten Motive beibehalten: es fehlt weder der giftige Apfel, noch Schneewittchens Wiederauferstehung von den Toten; der bekannte Spiegel steht als große goldene Scheibe im Palast, und obwohl sich der Jägersmann im Titel so breit macht, verzichtet der Film zum Glück auch nicht auf die sieben Liliputaner (wer gut im Kopfrechen ist, wird hier sogar auf acht an der Zahl kommen). Kristen Stewart bleibt als Schneewittchen allerdings keine Zeit, bei diesen putzigen Gesellen herumzuhängen und deren diverse Einrichtungsgegenstände auszuprobieren: außerdem verfügen die Kleinen über gar kein Eigenheim nebst Tellerchen, Schälchen und Bettchen: sie biwakieren vielmehr im Freien und treten als beinharte Wegelagerer auf, die mit ihren Raubopfern für gewöhnlich kurzen Prozess machen.
Im Vergleich zu Julia Roberts in Spieglein, Spieglein hat Charlize Theron das Prinzip des Bösen eindeutig besser verinnerlicht und stellt auch eine größere Wandlungsfähigkeit unter Beweis, da sie unablässig CGI-lastige Transformationen von äußerster Schönheit bis zu abstoßender Hässlichkeit durchläuft (für einen Augenblick darf sie sogar die Gestalt des leibhaftigen Lord Voldemort annehmen, obwohl der doch eigentlich in einem konkurrierenden Zauber-Unternehmen tätig ist).
Hätten die Brüder Grimm mehr Erfahrung mit Fantasy-Literatur gesammelt und vor allem Herr der Ringe nicht ungelesen im Bücherregal verstauben lassen, wäre ihre Schneewittchen-Version vermutlich ganz ähnlich ausgefallen. Eigentlich haben sie aber auch so ziemlich gute Arbeit geleistet, und auf seine Weise tut das Regisseur Rupert Sanders ebenfalls. Die Märchen-Charaktere zeichnen sich bei ihm zwar nicht gerade durch Tiefschichtigkeit aus, doch sobald es darum geht, dem schönen Schein ausreichend zu huldigen und seine Zuseher mit Bildern zu betören, ist der bisher hauptberuflich als Werbefilmer tätig gewesene Mann in seinem Element. Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus, egal, ob er uns in den Dunklen Wald oder das Feenreich führt, wo Pilze mit einem blinzelnden Auge versehen sind oder ein weißer Edelhirsch im Moment der Gefahr in eine Vielzahl kleiner Vögel zerstäubt.
Für die erfolgreiche Einladung zum Abtauchen in Traumwelten hat sich der Film sieben nach oben gekehrte Zwergendaumen verdient (größere Daumen wären dagegen schon wieder eine Verschwendung).