Gibellina - Il terremoto

Gibellina - Il terremoto

A, I, , 2007

In langen Einstellungen dokumentiert Joerg Burger die Diskrepanz zwischen Architektur, Kunst und Alltagsleben in einem "Ort ohne Zentrum und Seele".

Gibellina - Il terremoto
Min. 72
Start. 17.04.09

Die Erinnerung an etwas zu behalten, sei zwar wichtig, meint der pensionierte Bürgermeister des kleinen Ortes Gibellina, doch ebenso wichtig sei es, diese zu verlieren, um Platz für etwas Neues zu schaffen und andere Wege gehen zu können. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum die Reste das alten Gibellina heute unter einer meterdicken Betondecke begraben sind, obwohl die Erinnerungen der Einwohner an ihre ehemalige Heimat nicht verschwunden sind. Ein Jahr nach dem großen Erdbeben, welches das kleine sizilianische Städtchen 1968 ereilte, trat Ludovico Corrao sein Amt an, um das völlig zerstörte Gibellina achtzehn Kilometer entfernt neu aufzubauen. Zu Beginn sieht man ein einziges Mal Archivaufnahmen des Unglücks, wie Rettungsmannschaften verletzte Menschen und ein paar Ziegen aus den Trümmern holen, die notdürftig errichtete Zeltstadt, die in Wolldecken gewickelten Überlebenden. Das neue Gibellina gilt heute als größtes Freilichtmuseum Italiens, wenn nicht Europas: Seit den 70er Jahren haben hier unzählige Architekten verschiedene moderne Skulpuren in der Landschaft und mitten im Ort platziert, um dem Gedanken Corraos, dass «die Kunst der eigentliche Motor der Energie des Menschen» sei, Folge zu leisten. Doch die Freude darüber, dass mit dem Neubau sich die Möglichkeit auftat, feudale, von der lokalen Mafia geprägte Strukturen zu überwinden und Gibellina ein kulturell geprägtes Leben einzuhauchen, sollte - wie sich auch bei Joerg Burger bald herausstellt - zum Scheitern verurteilt sein. Entstanden ist ein Ort ohne Zentrum und ohne Seele, Gibellina ist knapp vierzig Jahre nach dem Erdbeben und seinem Neubau dem sozialen Verfall preisgegeben. In langen Einstellungen richtet Burger die Kamera auf die vor diesem Hintergrund beinahe monströs wirkenden Bauten und Skulpturen, die keine Touristen anlocken, sondern wie stumme Zeugen vom Niedergang des Ortes künden. Die weiße Kugel-Kirche von Ludovica Quaroni ist wenige Tage nach ihrer Fertigstellung 1972 bereits wieder eine Baustelle. Über die Zukunft wächst hier bereits wieder hohes Gras. Aber in ihr hätte der Pfarrer ohnehin nie die Messe gelesen.


(Text: Viennale 2007)

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