"The Zone of Interest": Der bedeutendste Film des Jahres
Es gibt Filme, die einen noch für ein paar Tage (wenn überhaupt!) nach dem Kinobesuch begleiten und dann in der Vergessenheit versinken. Und es gibt Filme, die einen auch noch eine lange Zeit nach dem Schauen nicht mehr loslassen und einen nachhaltig beschäftigen. "The Zone of Interest" fällt eindeutig in die zweite Kategorie. Hier ist unsere Kritik zu Jonathan Glazers Oscarhoffnung mit den Deutschen Sandra Hüller und Christian Friedel in der Hauptrolle.
Worum geht's in "The Zone of Interest"?
Wir befinden uns inmitten des Zweiten Weltkriegs: Familie Höss lebt ein scheinbar ganz normales Leben. Der Vater arbeitet, die Kinder gehen zur Schule, die Mutter macht den Haushalt und kümmert sich um ihren ganzen Stolz, den Garten. Wäre da nicht der Fakt, dass sie direkt neben dem KZ Auschwitz wohnen und Rudolf Höss, der Vater der Familie, der Leiter des Konzentrationslagers wäre.
Der Film zeigt ihren idyllischen Alltag in ihrem Zuhause, in dem das KZ Auschwitz so gut wie keine Rolle spielt.
Fünffacher Oscar-Kandidat
Bei "The Zone of Interest" handelt es sich um eine freie Verfilmung des Romans "Interessensgebiete" von Martin Amis und erzählt die wahre Geschichte von Rudolf Höss, dem Leiter des KZ Auschwitz.
Jonathan Glazer ist als Regisseur und Drehbuchautor an dem Werk beteiligt. Sein Regiestil ist allgemein geprägt von einer starken visuellen Ästhetik und einem Fokus auf die emotionale Wirkung von Bildern und Klängen. Seine Filme zeichnen sich durch eine intensive Atmosphäre, ein langsames Erzähltempo und eine ausgeprägte Tendenz zur Erkundung von existenziellen Themen aus. Dieser Stil ist auch in "The Zone of Interest" vorherrschend.
Die Königin von Auschwitz
"The Zone of Interest" zeigt einen Ort der unglaublichen Idylle, denn wir bleiben stets im trauten Heim und schauen nie über die Mauern. Wir gehen nicht in das Konzentrationslager, so wie Familie Höss (abgesehen von Vater Rudolf) das auch nicht macht. Sich auf das Leben im Zuhause des KZ-Leiters zu beschränken, ist eine bewusste Entscheidung von Glazer, die zu der enormen Wirkung des Films beiträgt.
Wie erschreckend normal das Leben der Familienangehörigen ist, wird vor allem an Hewdwig Höss (Hüller) deutlich. Ihre einzigen Interessen sind der nächste Urlaub, Make-up, Treffen mit ihren Freundinnen, Geburtstage, ihre Kinder und Klamotten – von den Toten aus dem KZ nebenan. Während neben ihr aus den KZ-Schornsteinen Rauch qualmt, zeigt sie ihrer Mutter ihren ganzen Stolz: ihren Garten. Durch diesen völligen Schein von Normalität wirkt die Realität noch viel verstörender.
Noch viel erschreckender: Während für beinahe alle Anwesenden das Konzentrationslager für den schlimmsten Ort auf Erden steht, sieht Hedwig Höss ihn als ihren "Ort des Glücks" – immerhin ist sie "die Königin von Auschwitz".
Auch die Farbauswahl verdeutlicht, wie langweilig und unschuldig das Leben von Familie Höss ist: Alles ist in sanften Farben gehalten. Die Weitwinkelaufnahmen vermitteln ein Gefühl von Unnahbarkeit. So unnahbar Familie Höss für uns ist, so unbeteiligt ist sie am Holocaust – so zumindest ihre Empfindung.
Mit minimalsten Mitteln die größte Wirkung erzielt
Wenig Dialog, wenig Musik, wenig Handlung: "The Zone of Interest" beschränkt sich auf das absolut Mindeste und trifft damit komplett ins Schwarze.
Durch die minimale Handlung wirkt der Film wie eine Momentaufnahme – eine Momentaufnahme des Grauens. Eines Grauens, aus dem es kein Entkommen gibt. Die Stille, die Zuschauer:innen beinahe zermürbt, lässt viel Raum für Interpretation und Möglichkeiten, die Groteske der Situation nachzuempfinden. Man sieht das Grauen zwar nicht, aber es ist trotzdem omnipräsent. Konstante Anspannung beim Publikum garantiert!
Mutig unkonventionell
Mit diesem Mut zur Stille ist der Film absolut unkonventionell – für Zuschauer:innen aber auch absolut ungewohnt. Das heißt, das Publikum muss sich auch darauf einlassen. Dadurch wird "The Zone of Interest" zu einem absolut besonderen Kinoerlebnis und einem spannenden Selbstexperiment.
Durch ebenjene Dominanz der Stille stechen die Szenen, in denen etwas passiert, noch viel stärker heraus. Hier erfährt man einen so verstörenden Zusammenschnitt von Bild und Ton, wie man ihn bisher nur selten im Kino erlebt hat. Nur in Sekundenbruchteilen wird einem der Schein und die Illusion der Idylle, in der Familie Höss lebt, deutlich und widert einen an.
Bereits durch die Darstellung der ignoranten Idylle wäre "The Zone of Interest" ein unglaublich erschütternder und bedeutender Holocaustfilm, doch durch die Gegenüberstellung und Konfrontation mit der erschütternden Realität wird Glazers Oscar-Kandidat erst zu etwas wahrlich Besonderem, richtig Künstlerischem und wirklich Wichtigem.
Subtiles Schauspiel des Grauens
Auch wenn Sandra Hüller für "Anatomie eines Falls" und nicht für "The Zone of Interest" für den Oscar nominiert ist, so ist ihre Darstellung in dem Holocaustdrama doch mindestens genauso bemerkens- und bewundernswert. Die Deutsche spielt unaufdringlich brillant, unauffällig und tadellos. Dadurch schmiegt sie sich harmonisch in den Stil des Films ein. Wenn Hüller im Plauderton "Ich könnte meinem Mann befehlen, deine Asche über die Felder von Babice zu streuen" zu einem Hausmädchen sagt, raubt es dem Publikum fast den Atem.
Christian Friedel beeindruckt gleichermaßen als pedantischer Bürokrat, dessen bedingungslose Effizienz und Engagement für die Sache des Nationalsozialismus ihm einen raschen Aufstieg innerhalb der SS ermöglicht hat.
Verdrängung des Holocausts in Filmform
In Zeiten von Rechtsruck im Internet und geheimen Treffen von Rechtsextremen, die eine Remigration planen, ist die Auseinandersetzung mit Genoziden wie dem Holocaust ein absolutes Muss. Dadurch sind auch Holocaustdramen wie dieses so wichtig wie nie. Jonathan Glazer kreiert ein unvergessliches Kinoerlebnis – genau so, wie es sein sollte. Denn wir dürfen nicht vergessen. Niemals.
Ironischerweise beschäftigt sich "The Zone of Interest" mit der Schwester des Vergessens, nämlich dem Verdrängen. In dem Film wird innerhalb der Familie nie über Auschwitz oder den Holocaust gesprochen. Es finden auch keine politischen Diskussionen oder Aussagen statt. Die Zeit, in der sie leben, wird schlichtweg hingenommen und als gegeben angesehen. Sie reflektieren nicht über ihre Lage, denn das würde ja bedeuten, dass man sich dem Grauen, das vor den Toren des Gartens stattfindet, stellen müsste. Da verdrängt man doch lieber. Das macht das Grauen ja beinahe ungeschehen, frei nach dem Motto: "Nix gesehen, nix geschehen".
Fazit zu "The Zone of Interest"
Das Holocaustdrama lässt einem das Blut in den Adern gefrieren und lässt einen trotz wenig Handlung und Dialog bis zum Abspann nicht mehr los. Jonathan Glazer beweist in "The Zone of Interest" ein Geschick für die richtige Dosierung des Grauens. Seine Regie trägt immens zu der anhaltenden, verstörenden Wirkung bei. Auch Christian Friedel und Sandra Hüller brillieren als unreflektierte Nazis.
4 von 5 Schweigeminuten
"The Zone of Interest" ist aktuell im Kino zu sehen. Hier geht's zum Kinoprogramm!