"Poor Things": Emma Stone in surrealistischem Meisterwerk
Eine schwangere, junge Frau stürzt sich in die Themse. Obwohl sie gehofft hat ihren Körper und ihren Geist somit endgültig auszulöschen, legt sie damit den Grundstein für das Leben von Bella Baxter. Denn der Wissenschaftler Godwin Baxter nimmt sich der Leiche an und verpflanzt in seiner Neugier das Gehirn des Neugeborenen in den Körper der erwachsenen Frau. Klingt verrückt, ist es auch – aber dadurch entsteht Bella, die mit einem völlig frischen Blick beginnt, die Welt zu erkunden.
Baby im Erwachsenenkörper
“Poor Things” ist einer der radikalsten und besten Filme des Jahres. Man taucht hier in eine völlig neue Welt ein, die nicht nur voller Farben und Wunder ist, sondern auch eine Reflexion der Wahrnehmung der Hauptfigur darstellt. Alles, was für uns selbstverständlich scheint, muss Bella erst lernen. Nachdem sich ihre motorischen Fähigkeiten verbessert haben und auch ihr kognitives Können aus dem Kindheitsstadium herauswachsen, beginnt sie die Fundamente von Moral, Gesellschaft und Liebe zu hinterfragen.
Genau das ist es, was diesen Film so besonders macht. Bella liefert uns eine Alternative, wie unsere Welt noch sein könnte. Wieso begrüßen wir uns, so wie wir es tun? Warum sind wir verliebt? Wie könnte man noch mit dem Leid in der Welt umgehen? "Poor Things" ist absurde Komödie, philosophisches Experiment und feministisches Plädoyer zugleich.
Star-Regisseur entfaltet sich
Neben der spannenden Handlung ist hier auch die Inszenierung von Regisseur Yorgos Lanthimos ein absoluter Hingucker. Er nutzt zahlreiche expressive Stilmittel, die man in dieser Form noch nie gesehen hat. Der Grieche wechselt fließend zwischen Farb- und Schwarzweiß-Ästhetik, kombiniert handbemalte Hintergründe mit neuester CGI-Technik und nutzt derart weitwinkelige Objektive, dass das Bild manchmal nur noch zu einem Kreis auf einer schwarzen Leinwand wird.
Yorgos Lanthimos hat sich in den letzten 15 Jahren zu einem der bedeutendsten Regisseure der Welt entwickelt. Er war einer der wichtigsten Persönlichkeiten der Greek Weird Wave, einer Reihe an griechischen Filmen, die sich durch seltsame Prämissen auszeichneten. Mit “Dogtooth” hatte er 2009 den großen Durchbruch, erhielt damit einen Preis auf den Filmfestspielen in Cannes und wurde für den Oscar nominiert.
Er zog nach Großbritannien, wo er mit "The Lobster" und "The Killing of a Sacred Deer" auch ein internationales Publikum erreichen konnte. Lanthimos hatte seinen eigenen Stil entwickelt, doch man bekam das Gefühl, dass, auch wenn seine Werke fantastisch waren, er auf der Stelle trat. Mit "The Favourite" und nun "Poor Things" hat er sich filmisch nochmals weiterentwickelt und ist gleichzeitig den Fragen rund um Identität und Wahrnehmung, die den Erfolg von “Dogtooth” ausmachten, treu geblieben.
Wer spielt mit?
Die Hauptrolle wird von “La La Land”-Star Emma Stone gespielt, die für ihre Rolle bereits mit einem Golden Globe ausgezeichnet wurde. An ihrer Seite ist Mark Ruffalo als labiler Lebemann zu sehen, der sich an der weiblichen Selbstbestimmung die Zähne ausbeißt. Ruffalo zeigt hier, dass er zu den besten Schauspielern seiner Generation gehört und mehr kann, als nur im Marvel Universum um sich zu schlagen.
Auch wenn er auf den ersten Blick nicht sofort zu erkennen ist, spielt Willem Dafoe hier einen Wissenschaftler mit unstillbarem Wissensdrang. Er verschwindet vollkommen hinter seiner Figur und ist ein skurriler Göttervater mit dem Herz am rechten Fleck.
“Poor Things” erhielt auf den Filmfestspielen in Venedig den Goldenen Löwen und wurde zudem mit zwei Golden Globes ausgezeichnet. Das surrealistische Meisterwerk wird definitiv zahlreiche Oscar-Nominierungen erhalten, und hat gute Chancen Preise in den Kategorien beste Hauptdarstellerin, beste Kamera und beste Regie abzustauben.
5 von 5 Sternen
"Poor Things" ist ab dem 18. Jänner im Kino zu sehen. Hier geht's zum Kinoprogramm!