"Expats" bei Prime Video: Eine Amerikanerin in Hongkong

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Nicole Kidman steht an der Spitze der brillanten Dramaserie "Expats" auf Prime Video, von Lulu Wang.

Nicole Kidman mag der Star von "Expats" sein, ein wunderschönes Drama von Lulu Wang, aber es sind die Frauen, die in ihrem Orbit kreisen, die herausragen. Ihre Co-Stars Sarayu Blue, Ji-young Yoo, und Ruby Ruiz sind gleichermaßen sehenswert und tragen dazu bei, eine tiefgründige Geschichte über Privilegien, Verlust und Klassenspannungen während der Regenschirmrevolution in Hongkong zu erzählen. Abrufbar bei Amazon Prime Video.

Lulu Wang wurde mit "The Farewell" berühmt

Es war der kleine, feine Indie-Film mit dem Titel "The Farewell", der die chinesisch-amerikanische Regisseurin Lulu Wang im Jahr 2019 an die Spitze einer neuen Erzählwelle brachte, die die Erfahrungen von Einwanderern der ersten und zweiten Generation intelligent beschreibt. Nicole Kidman war so begeistert, dass sie die Filmemacherin davon überzeugte, den 1998er-Roman "The Expatriates" von Janice Y.K. Lee zu adaptieren. Themen wie Verlust, kulturelle Zugehörigkeit und Identität sind ihre Spezialität.

Bis zur vorletzten von sechs Folgen konzentriert sich die Serie auf ein Trio von drei Frauen, die nicht aus Hongkong stammen, aber dort leben: Nicole Kidman spielt Margaret, eine reiche Amerikanerin und Mutter von drei Kindern, deren bildschöne Seifenblase zerplatzt, als ihr kleiner Sohn eines Nachts spurlos verloren geht. Da ist außerdem ihre Nachbarin und Freundin Hilary, gespielt von der indisch-amerikanischen Schauspielerin Sarayu Blue, die ihrem Ehemann vorgaukelt, dass sie versucht, schwanger zu werden, aber heimlich die Pille nimmt. Und da ist die 24-jährige koreanisch-amerikanische Mercy, herausragend gespielt von der Newcomerin Ji-young Yoo, die direkt in die zentrale Tragödie der Serie verwickelt wird, ohne, dass sie es möchte.

"Expats" wurde nur von Frauen geschrieben

Die Einzelheiten dessen, was passiert ist, werden vor uns in der ersten Folge geheim gehalten (und das PR-Team von Prime Video möchte auch, dass das so bleibt), aber der Schmerz und die glasigen Augen von Kidman - inzwischen eine Expertin auf dem Gebiet traumatisierter Mütter - schweben über der gesamten Geschichte. Das Finden des Kindes ist nahezu unerheblich. "Expats", ausschließlich von Frauen geschrieben, ist weniger interessiert an dem Ergebnis als vielmehr daran, wie die Frauen in verschiedenen Käfigen gleichzeitig agieren.

Eine andere wichtige Figur in der Serie ist die Stadt selbst. Die Kamerafrau Anna Franquesa-Solano fängt mit ihrer neugierigen Linse sowohl die Lebendigkeit der Arbeiterklasse auf den Nachtmärkten Hongkongs als auch den kalten Modernismus der wohlhabenden Expats ein. Es ist eine Welt voller schicker Partys und reicher Leute, die ihre westlichen Schuldgefühle auf die Dienstmädchen, Chauffeuren und Babysittern abwälzen, während die Menschen auf den Straßen Hongkongs gegen den zunehmenden Einfluss Chinas protestieren.

Kluft zwischen modernem Leben der Expats und dem Kampf der Chines:innen

Diese Kluft wird nie deutlicher als in der fünften Episode, einem Abstecher in das Leben der philippinischen Hausangestellten, die wir bis dahin größtenteils im Hintergrund gesehen haben. Es ist ein 96-minütiges Kapitel, das in einer ohnehin bemerkenswert filmischen Serie teilweise zu einer eigenständigen Art von Film wird. 

Die Folge spielt an einem Sonntag im Jahr 2014 und dreht sich darum, wie die Helferinnen der Amerikanerinnen ihren einen freien Tag in der Woche erleben. Wir verbringen mehr Zeit mit Puri (Amelyn Pardenilla), die von Hilary wie eine Puppe angezogen und geschminkt wird. Und wir verbringen Zeit mit Essie (Ruby Ruiz), die, als sie durchnässt zu Hause ankommt, sofort Essen für Margaret und ihre Familie machen muss, noch bevor sie sich abtrocknen kann. Es sind kleine, aber feine Details wie eine nasse Essie, die Tiefkühlpizza auftauen muss, die beweisen, dass Lulu Wang eine großartige Geschichtenerzählerin ist.

Als wir beginnen, die Geschichte mit den Augen jener zu sehen, die weniger privilegiert sind, wird uns klar, dass die Frauen am Rande dieser Serie vielleicht die ganze Zeit über im Mittelpunkt hätten stehen sollen. Eine solche Serie jedoch würde sich nicht so gut verkaufen wie eine, wo "von und mit Nicole Kidman" draufsteht.

(Von Marietta Steinhart/APA)