"Die Liebeskümmerer": Lohnt sich die deutsche Netflix-RomCom?
In unserer Rubrik "Lohnt sich das?" stellen wir euch einmal wöchentlich einen Streamingtitel (Film oder Serie), der in aller Munde ist, vor, nehmen ihn genauer unter die Lupe und stellen für euch die altbekannte Frage: "Lohnt sich das überhaupt?" Lohnt es sich, dafür Zeit zu investieren? Ein Abo abzuschließen? Oder ein Abo zu beenden?
Valentinstag ist der Tag der Liebe, da kommt man einfach nicht dran vorbei, auch wenn man sein Herz noch so sehr auf Zynismus und Anti-Kapitalismus ausgerichtet hat. Am Ende des Tages wünschen wir uns doch alle, händchenhaltend und kuschelnd gemeinsam den neuesten Liebesfilm am Lieblings-Streamingportal zu frönen, denn Ausgehen kann sich heutzutage sowieso niemand mehr leisten.
Also geht Netflix brav seiner Pflicht nach und veröffentlicht just am "romantischsten Tag des Jahres" eine deutsche romantische Komödie (mit österreichischem männlichen Hauptdarsteller), die noch dazu auf wahren Begebenheiten beruht, um der Liebe und der Romantik einen Schuss Realitätsbezug zu verpassen. Denn abgelutschte RomCom-Klischees aus den 90ern, die sind schließlich (buchstäblich) von vorgestern. Und wir alle zu auf- und abgeklärt, um uns an Sonnenuntergänge und dem Prinzen am weißen Schimmel zu erfreuen.
Worum geht's in "Die Liebeskümmerer"?
"Die Liebeskümmerer" will deshalb um einiges lebensnäher daherkommen: Der Film basiert lose auf dem Ratgeber "Goodbye Herzschmerz" sowie der gleichnamigen Agentur "Die Liebeskümmerer" von Elena-Katharina Sohn. Nach der Trennung von ihrem damaligen Lebensgefährten gründete Sohn 2011 in Berlin die Agentur, in der sie seither von Liebeskummer Betroffenen hilft, ihren Weg aus dem Schmerz zu finden. Die Erfahrungen aus der Arbeit mit ihren Klient:innen wurden als "Anleitung zum Wieder-Glücklichsein" zum Bestseller.
In catchiger Netflix-Synopsis-Sprache liest sich das folgendermaßen: "Sitzengelassene, Betrogene, Lückenfüller – Maria (Rosalie Thomass) hilft von Liebeskummer Geplagten, aus der Misere herauszukommen. Ihre eigens zu diesem Zweck gegründete Agentur hat ordentlich Zulauf, die Alleinerziehende findet für jede Art von Herzschmerz die passende Medizin.
Aber als sie einer unglücklich verliebten Klientin den bindungsunwilligen Lover und Journalisten Karl (Laurence Rupp) ausredet, wird es plötzlich ungemütlich. Der frisch Verlassene will es Maria heimzahlen, indem er sie öffentlich als Liebeskummer-Schwindlerin entlarvt. Seine Recherche führt ihn in Marias Therapie und das Katz- und Maus-Spiel nimmt seinen Lauf…".
Und das permanente Augenrollen leider auch.
Eigenständiges Denken nicht erwünscht
Von Anfang wird klar: So aufgeklärt, wie die moderne Bevölkerung (angeblich) ist, so aufgeklärt-modern und "anders" will "Die Liebeskümmerer" sein. In einer Szene machen sich Karl und Maria über besagte wohlbekannte RomCom-Klischees lustig. Was humorvoll sein soll, mutet aber vor allem prätentiös an: "Wir sind ein Liebesfilm mit Niveau, das mit nervigen Genre-Tropen spielt, schaut uns nur alle an!", scheint uns "Die Liebeskümmerer" hier sagen zu wollen. Dass wenig später bewusst diese auf die Schippe genommenen Klischees in die Story eingebaut werden, trägt zur angestrengt angestrebten Originalität auch nur wenig bei.
Generell bleibt im Film wenig – wenn nicht sogar gar kein – Spielraum für eigene Meinungen des Publikums, für Interpretationen, für eigenständiges Denken und Einswerden mit der eigenen Seele. Zugetraut wird dem Publikum hier nichts, in jeder Szene ist mehr als klar, was der Film aussagen will und was das Publikum denken und fühlen soll. Regisseurin Shirel Peleg (“Kiss me kosher”) sowie die Autorinnen Antonia Rothe-Liermann (“Zwischen uns die Mauer”) und Malte Welding (“Es ist nur eine Phase, Hase”) drücken uns permanent ihre eigene Weltsicht, ihre eigene Meinungen aufs Auge – und das mit derart vielen Redundanzen, dass man gut die Hälfte der Laufzeit hätte einsparen können.
Debatten, die sich ständig wiederholen
Karl als misogynistischer, liebesunfähiger Macho von Vorgestern, der unverbindlichen Sex für etwas Gutes hält, verlossenen Lieben nicht nachtrauert und Geschlechtsverkehr auch ohne Gefühle genießen kann – das geht bitte schön gar nicht, wo kommen wir denn da hin (okay, klar: das mit der Misogynie und dem Machotum geht tatsächlich nicht)! Egal, dass wir mittlerweile das Jahr 2024 schreiben.
Therapeutin Maria, ein Mix aus Mutter Theresa und Wonder Woman (wollte man hier das reale Vorbild nicht vergrämen?), die 24/7 analysiert (mit Floskeln, die dem Küchenkalender entnommen zu sein scheinen) und natürlich ganz und gar in ihrem Job aufgeht, stellt das genaue Gegenstück von Karl dar: Liebe und Sex, wenn auch beides aufgrund ihrer Arbeit etwas entzaubert, sind für Sie heiliges Gut, das nicht beschmutzt werden darf. Und jede:r, der wütend auf den/die Ex ist und vielleicht einfach keinen Bock (mehr) auf Beziehungen hat, mit dem/der stimmt etwas nicht. Geht gar nicht anders. Dass beide in der Vergangenheit arg verletzt wurden, ist ... sorry, ich bin kurz eingenickt.
Ständig verlieren sich Karl und Maria in Debatten über ihre gegensätzlichen Standpunkte, was spätestens beim zweiten Mal schon nicht mehr interessant ist, weil wir es schon beim ersten Mal verstanden haben. Wohin die Reise der beiden geht, ist ohnehin schon innerhalb der ersten Minuten des Films bereits klar, die Annäherung zwischen Karl und Maria hätte also schneller vollzogen werden können. Dann wäre "Die Liebeskümmerer" weitaus seltener auf der Stelle getreten. Und es hätte eine Beziehungs-Analyse mit Tiefgang werden können.
Wenn das eigene Streben ad absurdum geführt wird
Maria und Karl als auch sämtliche Nebenrollen (und streng genommen auch die Story an sich) scheinen am Reißbrett entstanden zu sein, sind farblose Charakterschablonen, wie man sie schon tausendmal gesehen hat, was sie wenig sympathisch oder gar interessant macht. Vor allem die schwarz-weiß-Zeichnungen der Hauptfiguren, unterstützt durch die hölzerne Spielweise von Rupp und Thomass sowie den gestelzten Dialogen, sind derart überholt und altbacken, dass sie dem eingangs erwähnten Ansatz der "modernen, woken" Liebeskomödie ad absurdum führen.
ER als arroganter Journalist und Frauen-Nichtversteher, der lernen muss, Zugriff auf seine inneren Gefühle zu haben und seine Männlichkeit hinterfragt. SIE, die Liebes-Therapeutin mit "gesunden" Moralvorstellungen, die aber auch erst verstehen muss, dass man auch mal lockerer sein darf, wenn es um Sex und Liebe geht. Neu, modern und unterhaltsam wäre das tatsächlich nur vor drei oder zwei Jahrzehnten gewesen, heute muten diese klassischen Geschlechterrollen weitgehend veraltet an – vor allem, weil über dieser Trope ein riesiges blinkendes Neo-Reklameschild mit den Worten "BEEN THERE, DONE THAT!" prangt.
"Die Liebeskümmerer" möchte "mit viel Dialogwitz (...) vom klassischen Dilemma im modernen (Online-)Dating-Zeitalter [erzählen]", so steht es zumindest in der Presseaussendung – doch abgesehen davon, dass wirklich kein einziger Gag zündet, reproduziert der Film rückständige Geschlechterrollen immer und immer wieder aufs Neue, tapst von einer Klischeefalle in die nächste (Dude Karl wird mit zartrosa Kurse-Goodies überhäuft, bruuhahahahaha!). Das Endprodukt ist ärgerlich oberflächlich, traditionell und belehrend.
Gut gemeinte Diversity
Da hilft auch die betonte Diversity in "Die Liebeskümmerer" ganz und gar nicht. Der Autor dieser Zeilen ist großer Verfechter davon, in Filmen und Serien die Bevölkerung in all seiner Vielseitigkeit und -schichtigkeit abzubilden – doch hier war's höchstens gut gemeint, aber dann doch schlecht umgesetzt.
Der obligatorische beste Freund des Machos ist Schwarz und bisexuell, einen eigenen Storyplot bekommt er aber nicht. Als wir ihn dann sekundenlang endlich mit einem Date erotisch rummachen sehen (übrigens sind auch die Sexszenen im Film klassisch prüde in Szene gesetzt), macht er das natürlich ... mit einer Frau. Ähnliches gilt für die anderen Nebenrollen, zu einem braven Abhaken von Check- und Klischeeboxen verkommen, ohne jeweils einen eigenständigen dreidimensionalen Charakter zu entwickeln. Dass zudem ausgerechnet Karl nicht homophob sein soll, passt so gar nicht zur Zeichnung seines Charakters, wohl aber zum Selbstbild des Films.
Ein einziger moralischer Zeigefinger
So ist "Die Liebeskümmerer" am Ende nicht die tiefgreifend-unterhaltsame Abhandlung über Liebe und Romantik geworden, die der Film so gern sein möchte, sondern nichts mehr als ein einziger moralischer Zeigefinger mit redundanten und überholten (sowie oberflächlichen) Küchenpsychologie-Floskeln (und Tropen), der das Publikum lieber belehrt und für dumm verkauft, als unterhält und zum Nachdenken anregt.
"Das ist erst der Anfang", sagt Marie am Ende zu Karl. Es klingt mehr nach Drohung als Versprechen. Am Ende bleibt mir bei nur eine einzige Frage übrig: Wer kümmert sich um mich nach diesen 90 Minuten verlorener Lebenszeit?
1 von 5 Sternen
Für Fans von: "Keinohrhasen", "What a Man", "Freundschaft plus", "Es ist nur eine Phase, Hase!"