"Dead Ringers": Lohnt sich die Thrillerserie mit Rachel Weisz?

Rachel Weisz in "Dead Ringers": Lohnt sich die Serie?
Rachel Weisz überschreitet im Remake von Cronenbergs "Die Unzertrennlichen" ethische und moralische Grenzen jeder Art.

In unserer neuen Rubrik "Lohnt sich das?" stellen wir euch einmal wöchentlich einen Streamingtitel (Film oder Serie), der in aller Munde ist, vor, nehmen ihn genauer unter die Lupe und fragen für euch die altbekannte Frage: "Lohnt sich das überhaupt?" Lohnt es sich, dafür Zeit zu investieren? Ein Abo abzuschließen? Oder ein Abo zu beenden?

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"Dead Ringers": Lohnt sich die Thrillerserie mit Rachel Weisz?

"Dead Ringers"-Promoposter

Elliot und Beverly Mantle (beide: Rachel Weisz) sind eineiige Zwillinge, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Elliot ist extrovertiert, selbstbewusst, genießt das Leben (das Essen! Und Sex!) und schert sich nicht viel darum, was andere Leute von ihr denken. Beverly wiederum (technisch gesehen die Jüngere der beiden) ist schüchtern, höflich und überlässt gern ihrer "großen Schwester" den Vortritt.

Was aber beide sehr wohl gemeinsam haben, ist ihre Leidenschaft für ihren Beruf: Im medizinischen Bereich der Gynäkologie sind sie Meisterinnen, berühmt für ihr Einfühlungsvermögen den Patientinnen gegenüber und für ihr beispielloses Fachwissen. Kurz: Die Mantle-Zwillinge gehören zu den Allerbesten ihres Fachs. Ihr großer Traum: Das veraltete und patriarchale System der (US-amerikanischen) Gesundheitsversorgung für Frauen völlig neu aufzustellen und dabei auch die menschliche Geburt selbst zu perfektionieren. Während Beverly eine eigene Geburtsklinik (für Frauen jeder Gesellschaftsschicht) eröffnen möchte, ist Elliot vor allem an der Forschung interessiert.

Wie es immer so ist mit Zwillingen (das weiß jede:r Film- und TV-Kenner:in), haben Elliot und Beverly noch nie einen Tag getrennt voneinander verbracht und teilen wirklich alles miteinander – nicht nur ihren Beruf (sie arbeiten im selben Krankenhaus Seite an Seite), sondern auch Drogen, Liebhaber:innen und den unbändigen Willen, alles zu tun, um ihre berufliche Träume umzusetzen. Dabei scheuen sie auch nicht davor zurück, die Grenzen der medizinischen Ethik zu überschreiten ...

"Dead Ringers": Lohnt sich die Thrillerserie mit Rachel Weisz?

Rachel Weisz in Doppelrolle in "Dead Ringers"

Doppelte Origin-Story

Wem die Handlung der neuen Prime-Video-Serie bekannt vorkommt: Bei "Dead Ringers" handelt es sich um eine moderne Serienadaption des 1988er-Psychothriller-Bodyhorror-Films "Die Unzertrennlichen" von David Cronenberg und mit Jeremy Irons in der Doppel-Hauptrolle. Dieser (von der Kritik gefeierten und mehrfach ausgezeichnete) Streifen basiert wiederum lose auf dem gleichnamigen Buch von Jack Geasland und Bari Wood – und auch das ist keine Original-Story, sondern erzählt zumindest wage vom wahren Fall der Gynäkologen-Zwillinge Stewart and Cyril Marcus, die 1975 in New York zusammen tot in einem verwüsteten Hotelzimmer aufgefunden wurden (der Fall konnte bis heute nicht geklärt werden). 

Die größte Änderung der Prime-Video-Serie ist offensichtlich: Obwohl signifikanterweise die Namen dieselben sind, handelt es sich nun um ein weibliches anstatt männliches Zwillings-Pärchen – was "alles und zugleich nichts änderte", wie Serienerfinderin, Autorin und Produzentin Alice Birch ("Normal People", "Succession") während einer Pressekonferenz kryptisch andeutete.

Die Figurenzeichnung mag zwar tatsächlich dieselbe wie beim Cronenberg-Streifen sein, auch das sexuelle Interesse seitens der Zwillinge an Frauen sowie damit die Liebhaberin Genevieve (Britne Oldford, "The Umbrella Academy") ist geblieben. Der starke feministische Subtext – nein: eigentlich Text, und was für einer! – ist bei Birch und Weisz (die Oscar-Preisträgerin fungierte auch als Co-Autorin und -Produzentin) aber weitaus stärker ausgearbeitet:

"Dead Ringers": Lohnt sich die Thrillerserie mit Rachel Weisz?

Rachel Weisz in "Dead Ringers"

Schwangerschaft als Kraftakt

Die "Dead Ringers"-Serie wird nicht müde zu betonen, dass Schwangerschaft eine heldenhafte Kraftanstrengung von Frauen ist. Keine Krankheit, aber auch kein Blumenwiesen-Spaziergang. Die Vielschichtigkeit sowie Komplexität von Schwangerschaft, Mutter-Sein und Weiblichkeit analysiert "Dead Ringers" mit unglaublicher und vor allem düsterer Virtuosität – sei es mittels intelligent-tiefgreifenden Dialogen oder beklemmend-realistischen Krankenhaus- und vor allem Geburtsszenen.

Einen starken Magen sollte man als Zuseher:in bei "Dead Ringers" nämlich auf jeden Fall mitbringen; von weichgespülten Harmonie-Geburten, die die TV- und Film-Landschaft ansonsten dominieren, ist die Serie weit entfernt. Hier haben sich Birch und Weisz eindeutig an Cronenbergs berüchtigtem Body-Horror orientiert, der Körper wird hier gleichzeitig zum Element des Wunders als auch des Gruselns. Übrigens: Auch der Soundtrack, der ausschließlich aus 80er-Hits besteht, ist eine gelungene Hommage an den Original-Film.

"Dead Ringers": Lohnt sich die Thrillerserie mit Rachel Weisz?

"Dead Ringers": Psychothriller-Serie mit Rachel Weisz

Radikal im Denken, provokant in der Umsetzung

Dass "Dead Ringers" nicht vor dramaturgischen Klippen Halt macht, zeigt bereits die allererste Szene, in denen Beverly und Elliot einen Zwillings-Dreier angeboten bekommen (hier wird bereits klar, dass der Großteil der Männer in dieser Welt nichts mehr ist als naiv-dummes und chauvinistisches Beiwerk, das mit diabolischer Leidenschaften von den Mantles-Twins reglmäßig vorgeführt wird). Hier wird Klartext gesprochen und der Zwillings-Mythos körperlich aber auch psychologisch blutig leidenschaftlich ausgeschlachtet.

Auch jene Szenen, in denen es um die Moral und die Ethik medizinischer Fragen geht – so möchte Elliot (teils mit der von zahlreichen Fehlgeburten geplagten Beverly als Versuchskaninchen) den Status Quo der menschlichen Fortpflanzung komplett über den Haufen werfen, indem sie beispielsweise nach weiblichem Spermium, einer Geburt durch den Bauchnabel oder dem Entstehen eines Embryos außerhalb des weiblichen Körpers forscht –, faszinieren und rütteln auf. Hier übt "Dead Ringers" gekonnt bissige Sozialkritik, zeigen dem Patriarchat den blutverschmierten Mittelfinger.

Nihilismus gepaart mit Zukunftsvisionen, die Welt eine Aneinanderreihung an kleinen (oder großen) Apokalypsen: "Dead Ringers" hat die Menschheit im Grunde  abgeschrieben, stellt aber trotzdem die Frage nach einer alternativen Fortpflanzung. Nein, nicht "trotzdem". "Deshalb". Morbide Hoffnung auf das Kommende, vor dem eigentlich alle nichts als pure Angst haben. Cronenberg wäre zufrieden.

Auch vor einem radikalen In-Szene-Setzen von Schwangerschafts-Komplikationen schreckt die Serie nicht zurück: Wenn beispielsweise eine Fehlgeburt in Großaufnahme gezeigt wird oder eine vor Trauer kreischende Mutter ihr totgeborenes Baby in die Armen gelegt bekommt, ist das der größte Horror, den wir in den letzten Jahren in Serien und Filmen zu sehen bekommen haben. In solchen Momenten halten in "Dead Ringers" Psycho- und visueller Horror morbide Händchen.

"Dead Ringers": Lohnt sich die Thrillerserie mit Rachel Weisz?

Rachel Weisz in "Dead Ringers"

Die Serie beginnt anders, als sie endet

Leider sind im Laufe der sechs Episoden, die diese Miniserie umfasst, genau diese Momente zu rar gesät (obwohl eine zentrale Storyline), weshalb sie nicht ihr volles (auch philosophisches) Potenzial entfalten. Wie im Film steht nämlich auch in der Serie nicht der Body-Horror und das Medizin-Thema, sondern die psychologischen Thriller-Elemente im Fokus, die vor allem mit dem persönlichen Zwillings-Psychodrama verbunden sind.

Die intime, co-abhängige Beziehung zwischen Elliot und Beverly läuft nämlich aus dem Ruder, als sich erstere in eine Patientin verliebt und sich daraufhin mehr und mehr von Elliot entfernt. Die stürzt daraufhin in eine ausgewachsene Identitätskrise, erkennt außerhalb des Wir kein Ich mehr – und verliert sich schnell in Drogen-, Party- und Sexeskapaden.

Das ist nicht uninteressant und unterhält durchaus, aber ist auch nicht gänzlich neu. Zudem driftet der erschreckende Realismus der ersten zwei Folgen in überhöhte und teils gruselige Storyelemente (inklusive Wahnvorstellungen) ab, die als Psychoanalyse der Figuren zwar funktionieren, aber nicht denselben starken Sog entwickeln wie der Medizin-Storyplot. Und auch der – wenn auch sehr konsequente – Schluss-Twist ist mehr als vorhersehbar. 

"Dead Ringers": Lohnt sich die Thrillerserie mit Rachel Weisz?

Rachel Weisz in Doppelrolle in "Dead Ringers"

Wechselhafte Qualität

"Dead Ringers" beginnt also stark, kann die hohe Qualität bis zum Finale aber nicht halten. Teils zu selbstherrlich und vor allem zu redundant und langsam kommen die Folgen daher (und das, obwohl die Macherinnen im Vorfeld versprachen, jede Folge würde sich "anders anfühlen" Mission: not accomplished). Auch die kleinen Subplots fühlen sich eher als Störfaktor an, denn sobald die Geschichte nicht mehr von den Mantle-Zwillingen erzählt, fällt die Spannungskurve rapide bergab. 

Trotzdem lohnt sich die Serie aufgrund der extrem hohen dichten Atmosphäre, dem permanenten Gefühl der Bedrohung, der brodelnden Spannung sowie der emotionslos-distanzierten, aber stilvollen Welt, in der "Dead Ringers" spielt: Die Farben sind düster und kalt, der Großteil der Figuren seelenlos, alle menschlichen Beziehungen toxisch. Eine Prise schwarzen Humors gibt's trotzdem. 

"Dead Ringers": Lohnt sich die Thrillerserie mit Rachel Weisz?

Rachel Weisz in Doppelrolle in "Dead Ringers"

Ein Emmy für Weisz?!

Das grausame Spiel mit Identifikation ist freilich ein zentrales Thema und somit Dreh- und Angelpunkt der Serie und wird nicht nur technisch, sondern auch schauspielerisch hervorragend von Rachel Weist umgesetzt. Der "The Favourite"-Star lässt einem von der allerersten Sekunde vergessen, dass wir es bei Elliot und Beverly mit derselben Schauspielerin zu tun haben (selbst dann, als sich die Zwillinge als die jeweils andere verkleiden. Eine darstellerische Meisterleistung).

Problemlos switcht Weisz zwischen den Zwillingen, zeichnet deren eigenwillig-komplexen und unterschiedlichen Charme mit perfekter Präzision und liefert eine der besten Leistungen ihrer bisherigen Karriere ab (wogegen die Nebendarsteller:innen allesamt stark an der Grenze des Overacting agieren). Ein Emmy sollte hier auf jeden Fall drin sein.

"Dead Ringers" ist somit eine One-Woman sowie Two-Women-Show zugleich. Schon allein deshalb solltet ihr "Dead Ringers" eine Chance geben, auch wenn die Serie vom verstörenden Meisterwerk, das sie sein möchte, doch ein Stückerl entfernt ist. Fans von "Das doppelte Lottchen" hingegen sollten durchaus einen großen Bogen um die Serie machen.

Wo kann man "Dead Ringers" streamen? 

Seit dem 21. April kann man sich "Dead Ringers" auf Prime Video ansehen. 
 

3 1/2  von von 5 Sternen

Für Fans von: "Die Unzertrennlichen", "Crimes of the Future", "Echoes", "Feed", "Schwanengesang", "The Handmaid's Tale – Der Report der Magd"


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