"Boston Strangler"-Kritik: Lohnt sich der True-Crime-Thriller?
In unserer neuen Rubrik "Lohnt sich das?" stellen wir euch einmal wöchentlich einen Streamingtitel (Film oder Serie), der in aller Munde ist, vor, nehmen ihn genauer unter die Lupe und fragen für euch die altbekannte Frage: "Lohnt sich das überhaupt?" Lohnt sich es sich, dafür Zeit zu investieren? Ein Abo abzuschließen? Oder gar ein Abo zu beenden?
Diesmal: "Boston Strangler" auf Disney+.
Hollywoodstar Keira Knightley hat sich in den vergangenen Jahren rar gemacht, war nur selten vor der Kamera zu sehen. Wenn das allseits (und vor allem bei Frauen) beliebte Genre des True Crime aber an die (sicherlich zufriedenstellend bezahlte) Tür klopft – und als Produzent auch noch Ridley Scott fungiert! –, dann kann auch die 37-Jährige Britin nicht widerstehen: In "Boston Strangler" ist sie als Loretta McLaughlin zu sehen, eine der beiden Journalistinnen, die an der Aufklärung einer der bekanntesten Serienmorde in der Geschichte der USA maßgeblich beteiligt waren
Auf Mördersuche geht Knightley überraschenderweise aber nicht im Kino – denn der Stoff wäre für die große Leinwand mehr als ergiebig –, sondern in den USA am Streamingdienst Hulu, hierzulande auf Disney+. Und wer beim Namen des Mauskonzerns nun die Stirn runzeln mag, dem/der sei versichert: Disney und True Crime, das passt auf perfide Art und Weise durchaus zusammen, man denke nur an die Serien "Welcome to Chippendales" oder "Pam & Tommy", die sich beide der düster-psychologischen Verbindung zwischen Sex und Macht annahmen.
In "Boston Strangler" geht's auch um Macht über Frauen, erotisch, witzig, durchgeknallt oder visuell verspielt ist hier aber gar nichts. Erschreckend, eiskalt, packend und abgründig aber dafür umso mehr.
Darum geht's in "Boston Strangler"
Aber von Beginn an: Wir schreiben das Jahr 1962 und befinden uns in Boston, Massachusetts. Gleich mehrere alte, alleinstehende Frauen werden erdrosselt in ihrer Wohnung aufgefunden, sie alle haben ihren Mörder freiwillig in die Wohnung gelassen. Trotz der Gemeinsamkeiten stellt weder die Presse noch die Polizei Verbindungen zwischen den einzelnen Taten her, geht nicht von einem Serienmörder aus – bis auf Loretta McLaughlin (Knightley), eine Lifestyle-Reporterin der hiesigen Zeitung "Record-American". Sie stürzt sich – sehr zum Unwillen ihres strengen Chefredakteurs – sofort auf den Fall, nicht nur aufgrund ihres Gerechtigkeitssinns, sondern auch von ihrer Sehnsucht getrieben, endlich "ernsthaften Journalismus" betreiben zu können.
Als der mysteriöse Mörder immer mehr Opfer fordert, bekommt Loretta die erfahrenere und selbstsicherere Kollegin Jean Cole (Carrie Coon, "The Leftovers") zur Seite gestellt, die schnell zu ihrer Vertrauten wird. Die beiden tun alles, um den Morden – am Ende wird es ganze 13 weibliche Opfer im Alter zwischen 19 und 85 Jahren geben – ein Ende zu bereiten. Dabei riskieren sie nicht nur ihr eigene Sicherheit (und ihr Eheleben), sondern müssen sich auch gegen den grassierenden Sexismus der damaligen Zeit zur Wehr setzen ...
Harte Ermittlungen statt Psycho-Studie
True-Crime-Fans werden wissen, wer hinter den Morden steckt, verraten soll der Name an dieser Stelle natürlich trotzdem nicht werden. LiebhaberInnen des Genres wissen wahrscheinlich auch, dass "Boston Strangler" nicht die erste Hollywood-Produktion ist, die sich der brutalen Bostoner-Mordserie in den 60er-Jahren annimmt.
Die bekannteste ist sicherlich der (fast) gleichnamige Film "The Boston Strangler" (deutscher Titel: "Der Frauenmörder von Boston"), der bereits 1968 – also nur einige Jahren nach den Taten, die die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzte – erschien und der Tony Curtis in der Rolle des Mörders eine Golden-Globe-Nominierung bescherte. Henry Fonda war auch mit von der Partie.
"Boston Strangler" auf Disney+ hingegen geht einen anderen Weg, stellt nicht den Mörder (a la "Dahmer") in den Fokus, sondern konzentriert sich auf die beiden Journalistinnen und deren detaillierte, kräftezehrende Recherche. Dass es bis 2023 gedauert hat, um sich auf diese Weise dem Thema zu nähern, verwundert durchaus und mutet erneut Zeugnis dafür an, dass Frauen in der Historie immer noch allzu oft unsichtbar gemacht werden.
McLaughlin immerhin legte nach dem "Boster Strangler"-Fall eine mit Auszeichnungen geebnete Karriere beim ehrwürdigen "Boston Globe" hin und war eine der ersten ReporterInnen, die über die AIDS-Krise berichteten. Auch Cole galt als eine der besten Investigativ-JournalistInnen (!) ihrer Zeit.
Die Wucht kommt aus der Stille
Dass der Mörder in "Boston Strangler" lange Zeit nur eine kleine Nebenrolle spielt, mutet da durchaus folgerichtig an – genauso wie die Inszenierung, die dicht und atmosphärisch ist, aber auf (billige) Schockmomente und (noch billigere) Jump-Scares verzichtet. Vielmehr gewinnt der Film seine Kraft, seinen (psychologischen) Horror und seine Suspense aus der Stille und seiner gemächlichen Erzählweise, die in manchen Momenten zwar an der Grenze zur Langatmigkeit kratzt, dann aber doch wieder die Kurve zu kratzen weiß – auch dank der intensiven Darstellung von Coon und vor allem Knightley, die zurückgenommen, aber dafür umso eindrucks- und effektvoller spielen.
Apropos eindrucks- und effektvoll: In "Boston Strangler" sucht der/die geneigte ZuschauerIn auch nach Blutbädern oder gar Splatterszenen vergebens, im Fokus stehen eindeutig die Ermittlungen, nicht die kranke Psyche des Täters. Die Morde werden entweder nur visuell angedeutet oder bloß kurz gezeigt, dabei stets das Gesicht des Täters verbergend. Das intensiviert das Gefühl der permanenten Gefahr, die ab der allerersten Sekunde den Film dominiert, aber nur noch zusätzlich.
Wenn sich (der noch eher unbekannte) Regisseur und Drehbuch-Autor Matt Ruskin ("Crown Heights") dafür entscheidet, den Bildkader mit einem toten Gegenstand wie einem Wasserhahn zu füllen, während man die verzweifelten Schreie des Opfers im Nebenraum hört, dann ist Gänsehaut garantiert und bettet sich nahtlos in die nihilistische Grundstimmung von "Boston Strangler" ein.
Angenehm altmodisch-konventionell
Und wenn wir schon bei Nihilismus sind: Der gesamte Film ist in kalte, tote, kühle Farben getunkt, sogar am Tag gibt es kein Sonnenlicht, der Himmel ist so düster wie die Seele des Boston Stranglers selbst – und vielleicht auch von so manchen alten Weißen Männern, die McLaughlin und Cole jegliche Kompetenz absprechen, sie sind schließlich Frauen.
Trotzdem ist die Handlung nicht mit unnötigen feministischen Ideen aufgepumpt (die von den Mordfällen nur ablenken würden), konzentriert sich eigentlich viel mehr auf den Aspekt der Anfängerin, die sich einen Namen in der Branche machen möchte – Ruskin beweist ein gutes Gespür für eine passende Ausgewogenheit zwischen Nähe und Distanz zu den Figuren. Auch ansonsten entscheidet sich "Boston Strangler" für eine klassisch lineare Erzählweise, die auf extravagante Spielereien, hektische Schnitte und (allzu) haarsträubende Wendungen verzichtet, dabei aber trotzdem nicht weniger einnehmend daherkommt.
Kurz: "Boston Strangler" ist angenehm altmodisch-konventionell und bestätigt dabei die allermeisten Genre-Erwartungen, anstatt sie zu unterlaufen. In diesem Fall ist das nichts Negatives, sondern vielmehr rundum stimmig.
Lohnt sich "Boston Strangler" auf Disney+?
True-Crime-Fans und AnhängerInnen von Keira Knightley sollten sich den Crime-Thriller keinesfalls entgehen lassen – vor allem jene, die nach all dem CGI-Überfluss, der seit langem das Kino beherrscht, wieder mal Lust auf einen wohltuend altmodisch inszenierten Streifen haben (und sich gleichzeitig crossmedial intensiver mit dem Thema beschäftigen wollen: Zum Filmstart erscheint nämlich ein begleitender dreiteiliger Podcast).
Manchmal erinnert "Boston Strangler" sogar an Genre-Klassiker wie "Zodiac – Die Spur des Killers" oder "Spotlight", erreicht am Ende dessen Biss und Überwältigunsgefühl aber doch nicht. Für Krimi-Spannung auf hohem Niveau ist aber trotzdem gesorgt.
4 von 5 Sternen
Für Fans von: "Zodiac – Die Spur des Killers", "Spotlight", "The Good Nurse", "Schneemann", "She Said", "Unbelievable", "Mindhunter"
"Boston Strangler" ist auf Disney+ zu sehen. Hier geht's direkt zum Film!