Ein Fall von radikalem Freiheitsentzug

Obwohl Markus Schleinzer sicher kein Zeugnis vorweisen kann, ist er unverkennbar durch Michael Hanekes Schule gegangen. Der Erfolgsnachweis dafür wurde nun in einem beachtlichen Debütfilm erbracht. Hier reihen sich Alltags-Fragmente zu einer Chronologie des Missbrauchs aneinander.

Parallelen zu den Fällen Kampusch und Fritzl sind natürlich offenkundig, entspringen aber sicher keinem platten „Nachschreiben“ diverser Sensationsmeldungen, sondern resultieren einfach im Nachvollzug bestimmter dokumentierbarer Verhaltensmuster der Täter. Michael Fuith verleiht diesem Täter mit bewundernswürdigem Mut ein Gesicht, indem er ihn nicht etwa zu einem Monster stilisiert. Michael scheint nach außen hin ein Mensch wie Du + Ich (bitte mehr Du als Ich) zu sein, wenn auch etwas introvertiert, menschenscheu und eigenbrötlerisch, doch je näher man hinblickt - und fast jede Szene enthüllt neue Facetten dieser Figur – umso erschreckendere Verhaltensdefizite werden sichtbar: der Mann wirkt wie ein gefährlicher Erwachsener mit verschroben kindischem Gemüt. Er fordert automatisch Dankbarkeit und Liebe seines Opfers ein: darauf deutet z.B. das beleidigte Angerührtsein, weil ihm das Kind nur eine unbeschriftete Zeichnung zu Weihnachten geschenkt hat, was in der Vernichtung dieser Gabe gipfelt. Oder er wiederholt beim gemeinsamen Mahl auf drastische Weise den beim nächtlichen Fernsehen aufgeschnappten geschmacklosen Wortwitz eines Horrorfilms und provoziert beim Kind damit eine für uns herzzerreißende Reaktion.

Der Täter und der Junge stehen in einem regelrecht perversen Abhängigkeitsverhältnis zueinander, das auf ein langes eingespieltes Zusammenleben deutet. Eine Häufung von unvorhersehbaren Zwischenfällen macht dieser erzwungenen Zweisamkeit schließlich ein Ende und hierin liegt vielleicht auch eine kleine Schwäche des Drehbuchs: der emotionslose Kamerablick von dokumentarischer Strenge wird von einer Handlung unterlaufen, die in bescheidenem Maß durchaus auf Action setzt. Vor allem eine Episode, in der sich der Täter einen Beinbruch zuzieht, wirkt reichlich gekünstelt und es scheint ziemlich absurd, dass er in den wenigen Wochen der Geschehnisse seinen Gips plötzlich wieder los ist, sich völlig problemlos weiterbewegt und sogar zum Schifahren Lust hat. Doch solche kleinen logischen Schönheitsfehler können einem Film nichts anhaben, dessen ernste Kompromisslosigkeit bei aller Beklemmung, die sie im Zuschauer hervorruft, fast pausenlos Bewunderung abnötigt.

Spätestens jetzt sollte die angedrohte Verfilmung des Falles Kampusch auf Eis gelegt werden.