"Egon Schiele - Tod und Mädchen": Ein modellhaftes Leben
„XY [hier ist ein beliebiger Künstlername einzusetzen] und die Frauen.“ Wenn man nicht gerade Jean Genet oder Cocteau wählt, bietet das eine Filmthematik, die immer etwas herzugeben verspricht - und ganz besonders bei einem Maler, der bereits seine 15jährige Schwester Gerti für Aktstudien verwendet hat. Seine Vorliebe für kindliche Modelle brachte ihn später mit dem Gesetz in Konflikt und sogar für ein paar Wochen in Untersuchungshaft.
Ein Künstlerleben in Rückblenden
Doch zunächst beginnt es, wie fast immer bei Filmen dieser Gattung, mit dem Ende: 1918 finden Verwandte Egon Schiele in seiner Hietzinger Wohnung neben der Leiche seiner schwangeren Frau. Er selber ist ebenfalls tödlich an der Spanischen Grippe erkrankt und wird von seiner Schwester gepflegt. Im vom Weltkrieg gezeichneten Wien ist es nicht leicht, fiebersenkendes Chinin zu bekommen. Umso einfacher ist es hingegen für den Regisseur eines Biopics, nach einem solchen Auftakt die passende Motivation für lange Rückblenden zu finden. Kaum hat Gerti einen erinnerungsträchtigen Blick in den Atelier-Spiegel geworfen, werden wir sofort ins Jahr 1910 zurückversetzt und können in den folgenden Filmminuten wichtige Stationen eines frauen- und hindernisreichen Künstlerlebens mitverfolgen (falls wir nicht gerade wieder in Schieles Todesjahr einen Zwischenstopp einlegen).
Romanvorlage über fünf Schiele-Modelle
Dieter Berner wählte als Vorlage für sein Künstlerporträt einen biografischen Roman von Hilde Berger, in dem sie Schiele aus der Sicht seiner weiblichen Modelle dargestellt und dabei viele bisher unbekannte biografische Details aus den Leben dieser Frauen zutage geförderte hat. Abgesehen von der Schwester gibt es etwa die exotische Tänzerin Moa Mandu oder Schieles Lebensgefährtin und zweifellos wichtigste Inspirationsquelle Wally Neuzil, die er 1915 nach seiner Einberufung als Soldat einer anderen wegen verlässt, weil ihm die Ehe mit einer jungen Frau aus wohlhabendem Haus Vergünstigungen bietet. Für all diese historischen Figuren hat Regisseur Berner zutiefst glaubwürdige DarstellerInnen gefunden – vor allem Noah Saavedra geht in seiner Schiele-Rolle förmlich auf. Etwas störend wirkt bloß, dass sie in einer dialektalen Einfärbung reden, die sich nicht genau zuordnen lässt, sondern eher der Phantasie entsprungen ist, was den Eindruck einer etwas gekünstelten Urigkeit hervorruft.
TV-Filmqualitäten
Eigentlich wäre der Film ein idealer TV-Zweiteiler von je knapp einer Stunde Dauer. Im Kino entwickelt diese detailreiche Rück-Schau in eine keineswegs so gute alte Zeit leider gewisse Längen; die Laufzeit von 109 Minuten würde man gefühltermaßen sofort mit 209 angeben, wenn man es nach einem Blick auf die Uhr nicht besser wüsste (und die etwas oberlehrerhafte Schlussinformation, dass Schieles Werke heute Millionen wert sind, hätte man getrost auch weglassen können).
Der Hauptdarsteller Noah Saavedra sollte jedenfalls gleich für ein nächstes Künstlerporträt engagiert werden, denn mit seinem Gesicht wäre er die Idealbesetzung für eine Kafka-Biografie.
7 von 10 kunstvoll modellierten Punkten.
franco schedl