Kleinstadtleben zur Zeit der großen Depression, Krankheit, Tod, materielle Not, Schicksalsschläge hier und da, aber bei allem Leiden hilft Doc Bulls Spezialtherapie: Mit Humor und Pragmatismus schafft er Abhilfe. Dr. Bull ist der ernsteste und dramatischste Film der Will-Rogers-Trilogie. Man spürt, daß Ford dank dieses ausserordentlichen Schauspielers (eine Darstellung, die völlig offen und genau bemessen ist) sich über drei Filme hinweg daran gewagt hat, das Porträt eines hintergründigen, eher weißen, puritanischen und bourgeoisen Amerika zu skizzieren. Ford nimmt sich viel Zeit, um dann die Handlung und das Sujet ganz direkt anzugehen. Den Platz zuweisen, das bedeutet zunächst einmal, eine Person hinzustellen, einen gewöhnlichen Menschen bei seiner Tätigkeit zu zeigen (einen Landarzt, der um das physische und moralische Wohlergehen besorgt ist). Dann geht es darum, ein Dekor zu bauen, einen Ort her- zustellen, was fast zwangsläufig, ein wenig wie bei Renoir, soziale Bindungen mit sich bringt. Nach fünfundvierzig Minuten ergreift die Handlung die Person, und der Film erhellt schlagartig und retrospektiv ein nicht narratives, bislang dunkel gebliebenes Puzzle. Eine Epidemie, die der Arzt nicht einzudämmen vermag und die ihn als Person exponiert, bricht aus was den Notablen als Vorwand dient, um gegen ihn, den sie für inkompetent halten, zu intrigieren. Nur daß sie eben sein Verhalten, sein So-Sein beurteilen und nicht seine Handlungsweise in gleicher Weise, wie die weiße, puritanische Gemeinschaft in Seven Women Ann Bancroft scheel angucken und schlechtmachen wird. Einem falschen Impressionismus (der kleinen Leben und kleinen Striche) den Rücken wendend, beschreibt Ford vielmehr, wie ein vom Kollektiv beanspruchtes Verfahren der Ächtung abläuft. Der Haß des Herdenmenschen, der von unten kommt und sich im Lynchen befriedigt (da trifft Ford sich mit Lang), kommt hier zusammen mit diesem Haß der oberen Schicht, der sich aus demselben Antrieb des Ausmerzens speist, aber anders vorgeht: mit moralischer, nicht physischer Gewalt. Als Sündenbock wird diese Junggesellenmaschine, die Dr. Bull ist (eine andere Spielart des Fordschen Helden), nicht gerettet durch Recht und Gesetz (Will Rogers hat nichts zu tun mit dem granitenen Ernst des «schwarzen Sergeanten»), sondern durch seine besondere Ausübung des Berufs, indem er der Reihe nach Menschen und Tiere behandelt. Es geht um die Moral des Metiers, ohne Rassentrennung, typisch Ford und außerordentlich bemerkenswert. (Charles Tesson)
(Text: Viennale 2004)
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Details
- Regie
- John Ford
- Kamera
- George Schneiderman
- Author
- Paul Green, nach dem Roman «The Last Adam» von James Gould Cozzens
- Musik
- Samuel Kaylin