DIE HARTE SCHULE DER LUST
Joe setzt als moderne Scheherazade ihre Lebensbeichte bis zur Morgendämmerung fort, bevor die lange Geschichte mit einem regelrechten Knalleffekt ein abruptes Ende findet. Wir erfahren von Joes Frigidität und Mutterschaft, dem Zerbrechen dieser fragilen Kleinfamilie und ihrer Hinwendung zu immer radikaleren Praktiken, wobei Jamie Bell eine, wenn schon nicht tragende, so doch auf jeden Fall schlagende Rolle spielt (und man sollte sich vom jungenhaften Charme des Billy Elliot-Darstellers bloß nicht täuschen lassen).
Nachdem Joe jahrelang bereitwillig Misshandlungen hat über sich ergehen lassen, findet sie zuletzt noch einen erfüllenden Job, in dem sie selbst ihr dominantes Gewaltpotential an Männern ausleben kann und nimmt zudem ein Mädchen als mögliche Nachfolgerin unter ihren Schutz. Doch auch diese Entwicklung bringt ihr kein Glück, sondern führt schließlich dazu, dass die schwer zusammengeschlagene Frau vom hilfsbereiten Seligman aufgelesen wird. Als geduldig-wissbegieriger Zuhörer hängt er auch in Teil 2 gebannt an ihren Lippen, falls er nicht gerade eine seiner schrullig-gelehrten Zwischenbemerkungen fallen lässt. Diese mit Verlaub gesagt Klugscheißerei nimmt tatsächlich immer bizarrere Formen an und er muss sich von Joe einmal den Vorwurf gefallen lassen, sich soeben die bis dato wohl überflüssigste Abschweifung geleistet zu haben.
Nicht nur Joes selbstzerstörerische Ausschweifungen stehen diesmal im Mittelpunkt, sondern wir erhalten auch über Seligmans Psyche wichtige Aufschlüsse. Seine Libido erschöpft sich in der Liebe zu Büchern und seine Weltkenntnis setzt sich aus angelesenen Fakten zusammen. Er eignet sich somit perfekt für einen neutralen Beichtvater, müsste man meinen, und auch Joe bezeichnet ihn einmal als ihren ersten und einzig wahren Freund. Doch auch darauf sollte man sich hier nicht allzu sehr verlassen: bei Tagesanbruch flackert zwar ein kurzer Hoffnungsschimmer an der tristen Ziegelmauer auf, aber die Geschichte kehrt schließlich in die völlige Dunkelheit des Filmbeginns zurück.
Nach knapp 30 Filmminuten müssen wir übrigens endgültig Abschied von der wundervollen Stacy Martin nehmen, da ab jetzt die Funktionen von Erzählerin und Akteurin in Charlotte Gainsbourgs Person zusammenfallen. Während Martin noch eine relativ unbeschwerte Sexualität zelebrieren durfte, ist Gainsbourg eher auf die dunkle selbstzerstörerische Seite des Sexus konzentriert.Obwohl die Handlung in zweiten Teil also erwartungsgemäß eine wesentlich härtere Gangart einschlägt, verliert Lars von Trier seinen Humor nicht und kann der rätselvollen Welt der Triebe unverhofft heitere Momente abgewinnen (obwohl einem hier oft das Lachen im Hals steckenbleibt): etwa wenn diverse Frauen für ihren wöchentlichen Termin in der strengen Kammer des Sadisten wie im Wartezimmer einer SM-Praxis Platz nehmen, bis sie von dem Mann aufgerufen werden; und der zelebriert die harten Prozeduren dann tatsächlich mit geradezu ärztlicher Nüchternheit und Umsicht.
Außerdem leistet sich der Regisseur auch noch ein Selbstzitat wohl um Anfang und Ende seiner Trilogie der Depression miteinander zu verklammern. Unter identischer Musikbegleitung scheint sich die tragische Eröffnungsszene mit dem unbeaufsichtigten Kleinkind aus Antichrist zu wiederholen, erfährt dann aber doch eine wesentlich andere Wendung. Von Trier hat uns mit Nymphomaniac auf einen wilden 4stündigen Trip der weiblichen Obsessionen und Extreme mitgenommen und seine Darsteller zu Höchstleistungen angespornt, wofür sie alle 9 von 10 Belohnungsschläge mit einer Neunschwänzigen Katze verdient haben.