"Die brillante Mademoiselle Neila": Mit Worten die Welt und sich selbst verändern
Jetzt müssen wir schon wieder einen Kinofilm mit einem deutschen Mademoiselle-Titel über uns ergehen lassen. Schuld daran sind „Monsieur Claude und seine Töchter“, weil sie so erfolgreich waren. Seit damals wimmelt es nur so von Madames, Monsieurs und Mademoiselles in unseren Kinoprogrammen und wir könnten schon ein ganzes Adressbuch mit ihren Namen füllen.
Ein scharfzüngiger Zyniker
Wer ist denn nun das aktuelle Titel-Mädchen? Neïla Salah will in Paris bei einem berühmten Professor Jus studieren. Dieser Pierre Mazard ist zwar rhetorisch brillant, aber auch ein erbarmungsloser Zyniker. Weil Neila an ihrem ersten Uni-Tag ein paar Minuten zu spät in seine Vorlesung kommt, kann er eine bissige Bemerkung nicht unterdrücken. Er versucht, sie vor dem kompletten Auditorium bloßzustellen, und da Neila offenbar einen sogenannten Migrationshintergrund aufweist, tut er das mit spitzen Worten, die man ganz leicht rassistisch auslegen könnte. Die junge Frau ist aber nicht auf den Mund gefallen und bietet ihm Paroli – außerdem haben andere Studenten eifrig mitgefilmt, und so wird der Professor kurz darauf vor den Rektor zitiert, der ihm nichts Erfreuliches mitzuteilen hat. Ein Disziplinarverfahren wurde in die Wege geleitet und Mazard, der auch bei seinen Kollegen und anderen Uniangestellten nicht gerade beliebt ist, könnte die Lehrbefugnis bald los sein.
Redeübung in der U-Bahn
Doch es gibt einen Ausweg: als Zeichen seines guten Willens soll der Professor sich ganz besonders um Neila kümmern und sie auf den bevorstehenden großen Rhetorik-Wettbewerb vorbereiten. Um sie für die Rede-Übungen fit zu machen, wählt Mazard einen Text von Schopenhauer, in dem der Philosoph 38 rhetorische Kunstgriffe zusammengestellt hat. Der Unterricht beschränkt sich nicht nur auf den Hörsaal, sondern wird manchmal auch in die U-Bahn verlegt und es kann vorkommen, dass Neila vor den verblüfften Mitfahrenden aus voller Kehle „Mitbürger! Freunde! Römer!“ zu deklamieren beginnt, weil das eine gute Übung ist, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen (und ein paar besonders kluge Köpfe identifizieren diesen Text dann auch prompt als Zitat aus „Herr der Ringe“).
Zwei charismatische Hauptfiguren
Platter Humor und geschmacklose Scherze über Behinderte oder Andersgläubige werden seit ein paar Jahren durch Christian Clavier ist fast jedem seiner Filme vorgeführt. Dass es auch anders geht, beweist dieses Werk: eine französische Komödie kann also tatsächlich noch intelligent und wortgewandt sein und in einer Mischung aus Witz und Charme zeitgemäße Probleme ansprechen. Regisseur Yvan Attal verlässt sich ganz auf seine beiden wundervollen Hauptpersonen: Daniel Auteuil braucht man wohl nicht mehr eigens vorzustellen (nur so viel: er hat gleichermaßen de Sade und Napoleon verkörpert und für Österreicher ist sicher seine Rolle in Michael Hanekes „Caché“ besonders wichtig): hier spielt er den alten, vom Leben angeödeten Zyniker, der gerne herumstänkert, aber bestimmt kein echter Rassist ist, mit viel ‚brio‘ – das französische Wort ist zugleich der Originaltitel und bedeutet so viel wie ‚Brillanz‘ oder ‚Bravour‘. An seiner Seite blüht die 1992 geborene Camélia Jordana als Neila förmlich auf und wir sehen ihr gerne dabei zu, wie sie die Macht der Worte für sich entdeckt (es dürfen durchaus auch Schimpfworte sein). Es geht um Bildung, Selbstfindung und welche Chancen man im Leben erhält, wenn man sich richtig präsentiert.
Dass ausgerechnet Neilas Freund, ein einfach gestrickter Taxifahrer, dann zur Klärung der finalen Probleme die richtigen Worte findet und so redet, als hätte er an ihrer Stelle den Rhetorik-Kurs besucht, ist zwar nicht gerade sehr glaubwürdig, doch darüber sehen wir gerne hinweg, denn zu diesem Zeitpunkt hat uns dieser Film, bei dem es sich um Grunde um eine moderne „My Fair Lady“-Version handelt, einfach schon viel zu sehr bezaubert.
4 von 5 Kugelschreibern im Mund, die halal sind