DER MALER UND DER MÜLLER

Außergewöhnliche Filme verdienen eine besondere Präsentation: deshalb wurde die Österreich-Premiere von „Die Mühle und das Kreuz“ mit Vorbedacht auf einen 29.2. verlegt, weil dieses ideale Datum garantiert, dass die Besucher zumindest in den nächsten 4 Jahren nichts Vergleichbares erleben können.

Seit dem späten 18. Jahrhundert zählte es zu einem beliebten Gesellschaftsspiel, berühmte Gemälde als sogenannte Lebende Bilder nachzustellen. Familien oder Freunde scheuten weder Zeit noch Kosten, um vor einem Publikum entsprechend kostümiert stocksteife Posen einzunehmen und ein dreidimensionales Gemälde zu verkörpern. Es wäre aber übereilt, Regisseur Lech Majewski ganz in diese Tradition zu stellen, denn der besondere Clou besteht gerade darin, dass bei ihm das Bild ein sehr bewegtes Eigenleben führt. Nur in einem entscheidenden Moment friert das bunte - gleichermaßen lebensfrohe wie –feindliche - Treiben ein, weil der Maler Pieter Bruegel d.Ä. (Rutger Hauer), dem wir bei seiner Planungsarbeit zusehen dürfen, offenbar gute Beziehungen zum Müller unterhält: dieser geheimnisvolle gottgleiche Mann lässt für wenige Sekunden die Mühle auf dem riesigen Felszacken stillstehen und was wir dabei zu sehen bekommen, ist sozusagen das für die Nachwelt fixierte Gemälde.

Der kunstbegeisterter Majewski hat seit jeher einen starken Bezug zur bildenden Kunst an den Tag gelegt: bereits 2004 setzte er beispielsweise das Bosch-Gemälde „Der Garten der Lüste“ in einen Film um; und es wäre dem Regisseur ohne weiteres zuzutrauen, dass es zu jeder der rund 500 dargestellten Personen auf Bruegels „Die Kreuztagung Christi“ eine eigene Geschichte erzählen könnte. Immerhin wählte er rund ein Dutzend Personen aus dem Figurenkosmos, um sich an ihre Spuren zu heften.

In vierjähriger Arbeit schuf Majekwsi diese optische Tour de force unter Zugrundelegung der in Buchform erschienenen komplexen Bildinterpretation von Michael Francis Gibson: durch detailversessene digitiale Feinarbeit verwoben sich reale Landschaften, gemalte Hintergründe und vor Blue Screen aufgenommene Szenen zu einem betörend schönen Bilderteppich. Folgerichtig setzt der Film nur spärlich Dialoge ein und es wäre eigentlich konsequenter gewesen, gänzlich aufs gesprochene Wort zu verzichten (besonders Charlotte Ramplings Monologe als Christus-Mutter erweisen sich als etwas strapaziös).

Der alte Traum vieler Bildbetrachters, der gemalten Szenerie Leben einhauchen zu können, hat schon viele Künstler inspiriert. Auch in der Literatur begegnet uns immer wieder die Sehnsucht, entweder in ein Bild eintreten zu können oder die dargestellten Figuren heraustreten zu lassen in unsere Welt. Um beim vorhin genannten Bosch-Bild zu bleiben: in seinem 1975 veröffentlichen letzten vollendeten Typoskriptroman „Abend mit Goldrand“ ließ Arno Schmidt Gestalten aus dem „Garten der Lüste“ zwischen unserer und der gemalten Welt hin und her wechseln; mehr sogar: ein Mann aus unserer Realwelt verliebt sich in eine der gemalten Frauenfiguren, und zuletzt wird das Paar von dem Gemälde absorbiert.

Diese Möglichkeit sollte uns zu denken geben: falls nach Ende einer Vorstellung von „Die Mühle und das Kreuz“ ein paar Plätze, die zu Beginn noch besetzt waren, leer sein sollten, obwohl niemand den Saal verlassen hat, wissen wir wenigstens, wo die Verschwundenen gesucht werden müssen.