Terayama Shûji: Als ich Denen ni shisu drehte, beschäftigte mich in erster Linie die Frage der Erinnerung. Ich fragte mich, ob nicht der Mensch nur insofern frei sein kann, als er sich von seinen Erinnerungen befreit. Die Repression durch die Erinnerung, der wir unterworfen sind, kann verschiedene Formen annehmen. Politische Befreiung ist immer nur eine teilweise Befreiung. Politische bzw. geschichtliche Befreiung ist zwar eine kollektive Befreiung, doch sie erstreckt sich nicht auf jenen Bereich, den man die individuelle, innere Geschichte nennen könnte. Ich versuchte, die Frage der Erinnerung als den essenziellen Teil von Geschichte aufzufassen und damit zu beginnen, dass ich die Vergangenheit eines einzelnen Menschen, in dem Fall von mir, in der Form von «planmäßigen Träumen» oder «künstlich redigierten Erinnerungen» herausarbeitete. Und daher wählte ich die Gedichte als Thema, die ich selbst in meiner Jugend verfasst hatte. Außerdem habe ich die Landschaft der damaligen Zeit und die Landschaft von heute als synchron aufgefasst und sie künstlich neu zusammengesetzt. Denn es ist doch so, dass Landschaften nicht bloße Kulissen sind, sondern sie existieren nur als ein Teil von etwas Künstlichem, das immer wieder neu retuschiert wird. Daher habe ich zusammen mit dem Ausstatter des Films, Awazu Kiyoshi, überlegt, dass die Ausstattung meines kommenden Films nicht etwas sein sollte, das einfach in die Landschaft gestellt wird, sondern dass wir Ausstattung in dem Sinn begreifen wollen, dass sie auch die umgebende Landschaft beinhalten und entsprechend gestaltet wird. So gesehen, handelt es sich weniger um Ausstattung als um Landschaftsgestaltung. Nachdem der Widerstand gegen das System einen Rückschlag erlitten hat, entsteht garantiert eine Tendenz, Theorien zur Landschaft herauszubringen, doch in diesem Film möchte ich über solche Landschaftstheorien hinausgehen. Indem ich die Landschaft als solche erschaffe, möchte ich sie als Gesamtbild von Geschichte in das Gedächtnis der einzelnen Individuen hineinverpflanzen. Zusammen mit Awazu und dem Kameramann Suzuki Tatsuo sind wir zunächst zum Lokalaugenschein zum Osoreyama [Mount Osore] gefahren. Awazu Kiyoshi: Mit Landschaft (fûkei) assoziiert man im Japanischen doch eigentlich «tief werden» (fukete yuku) oder «sich vertiefen» (fukeru). Ich habe dazu einmal Folgendes geschrieben: «Bevor ich einen Film mache, suche ich erst einmal eine geeignete Location. Aus dem Fenster eines Autos oder eines Zuges wirkt die Landschaft irgendwie unbestimmt, aber es kommt mir vor, als ob darin bereits eine Filmszene enthalten wäre. Auch bei einem Fenster in einem Haus ist es so. Ein Fenster erfüllt die gleiche Funktion wie der Ausschnitt einer Kamera. Es ist nicht, wie wenn man ein einzelnes Bild betrachtet, sondern die Landschaft außerhalb des Fensters lässt sich in ihrer beständigen Veränderung mit Kino oder Fernsehen vergleichen. Sobald man sich entschließt, an einem bestimmten Ort zu drehen, verwandelt sich dieser in das Privateigentum des Filmautors. Bei einem Landschaftsmaler oder einem Fotografen ist es genauso, im Grunde sind alle Landschaftsdiebe. Da es kein Besitzrecht der Landschaft gibt, kann ich sagen: «Sollen wir nicht auch die Berge im Hintergrund mit einbeziehen?» oder «Dieser Telegrafenmast stört», etc.; ich behandle die Landschaft also, als wäre sie mein Eigentum. Andere, die sich in dieser Landschaft befinden, betrachten mich dann mit großen Augen als eine Art Eindringling. Von Betrachtern der Landschaft werden sie zu Gegenständen der Betrachtung, und schließlich, wie bei Ansichtskarten, zu Gegenständen des Verkaufes. Am Beginn der Landschaftsfotografie soll der Franzose Eugène Atget stehen, der die Umgebung von Paris wie den Tatort eines Verbrechens abbildete. In Japan waren zu dieser Zeit Hokusai und Hiroshige tätig, doch während Atget Landschaft wie ein historisches Beweisstück auffasste, verhalfen Hokusai und Hiroshige der Landschaft, die bislang lediglich als Hintergrund der ukiyo-e diente, zu Eigenständigkeit. Sie stellten Landschaft nicht einfach aus, sie machten sie sichtbar.» So lautete mein Text. Mein Vorhaben in diesem Film ist, trotz unseres begrenzten Budgets die Landschaft an sich nach Möglichkeit zu verändern. Man könnte auch von verfälschten Bildern sprechen, auf jeden Fall legen wir die Einstellungen fest, indem wir vor Ort mit Bambusstäben Bilder in die Landschaft zeichnen oder indem sich die Mitarbeiter abends versammeln und auf einem Notizblock grobe Skizzen entwerfen. Diese Vorgangsweise beinhaltet das Problem, dass die Landschaft dabei getötet wird. An der natürlichen Landschaft selbst werden Veränderungen vorgenommen. Dadurch, dass widernatürliche Elemente in die natürlichen Aufnahmen integriert werden, besteht die Möglichkeit, dass sie als eine weitere Landschaft wahrgenommen werden. Ich glaube, es hat nicht direkt mit Erinnerung zu tun, sondern wenn sich der Herbsthimmel immer mehr vertieft, dann wird dieser Eindruck auf jeden Fall innerhalb des Gedächtnisses als ein abgeschlossener Bereich bestehen bleiben. (Terayama Shûji und Awazu Kiyoshi im Gespräch, in: «Bijutsu Techô», 1975/2)
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Details
- Regie
- Terayama Shûji
- Kamera
- Suzuki Tatsuo
- Author
- Terayama Shûji nach seiner gleichnamigen