COMIC-GOTT AUF HAMMERSUCHE
Offenbar birgt diese Story ein Potential von shakespearehaften Ausmaßen in sich, da mit Kenneth Branagh jemand die Regie übernommen hat, den man normalerweise nicht mit Graphic Novel-Verfilmungen in Verbindung bringen würde. In der Tat wimmelt es hier nur so von hochgestellten Persönlichkeiten, gefährlichen Intrigen, epischen Schlachten und einer ungewöhnlichen Romanze, wodurch bewiesen wäre, dass die Grenzen zwischen elisabethanischem Theater und der Marvel-Welt ziemlich fließend verlaufen. Diese Ansicht teilte auch Branagh und machte sich, als bekennender Langzeit-Fan der zugrundeliegenden Comics, die Aufgabe zusätzlich schmackhaft, indem er Thor als Variante zu Heinrich V auffasste: hier wie dort steht ein krisengeplagter junger König im Mittelpunkt.
In Asgard, der germanischen Sektion des Götterhimmels, ist der Teufel los, weil sich Odins Sohn einfach nicht benehmen kann und mit seinem ungestümen Wesen einen unnötigen Krieg provoziert hat. Also wird Thor vom einäugigen Papa ( Anthony Hopkins mit der wohl coolsten Augenklappe der Filmgeschichte) ein Denkzettel verpasst, indem der zornige Alte den ungeratenen Sprössling einfach fallen lässt und das unzählige Kilometer tief Richtung Erde. Einen harten Aufprall später ist der arrogante Hammerschwinger tatsächlich aufgeschmissen, weil ihm die Rückkehr in die Heimat bis auf weiteres verwehrt wurde und seine Götterkräfte verschwunden sind. Fortan lebt er als Mensch unter Menschen und darf die neuen Freunde bald vor seinem verschlagenen Bruder Loki beschützen, der nicht zögern würde, die gesamte Weltbevölkerung auszulöschen, wenn er damit zugleich Thor vernichten könnte.
Der muskelbepackter blonde Riese Chris Hemsworth in der Hauptrolle stammt eigentlich aus Australien, wo er in einer Seifenoper als Surferboy und Sportschwimmer den Durchbruch schaffte, macht aber nach seiner Aufwertung zum Göttersohn die denkbar beste Figur.
Die Marvel-Männer sind übrigens miteinander vernetzt: so gibt es hier immer wieder Anspielungen auf den anderen Helden Iron Man (was auch in umgekehrter Richtung funktioniert, da angeblich in Iron Man 2 bereits auf einen wichtigen Thor-Schauplatz verwiesen wurde). Doch im Gegensatz zu diesem Vorgänger-Film hat das göttliche Abenteuer bedeutend mehr zu bieten, da sich die Handlung nicht auf technische Basteleien beschränkt, sondern zwei völlig verschiedene Welten samt einer komplexen Mythologie aufeinandertreffen. Hier erwarten uns zwar auch die genreüblichen Lichtblitz-Entladungen, Großeruptionen und sonstigen Zerstörungsorgien, aber sobald all das durchs Drehbuch bestens gerechtfertigt wurde und unter der Regie eines Könners geschieht, spricht nichts dagegen, das CGI-Gewitter auch richtig zu genießen. Gerade der Erdenschauplatz gibt als amerikanisches Wüstenkaff nicht viel her, eröffnet jedoch einen umso größeren Kontrast zur Götterwelt, in der an Prachtentfaltung nicht gespart wurde.
Und natürlich ergeben sich durch Thors Verpflanzung in die ungewohnte Menschenwelt auch komische Situationen: Wenn der Held etwa eine Tierhandlung betritt und mit Donnerstimme nach einem Pferd verlangt, sind wir wieder bei Shakespeare; bloß hat sich der aktuelle Held die falsche Adresse ausgesucht und könnte als Gegengabe auch kein Königreich offerieren. Mir hingegen ist der Film 8 von 10 möglichen Götterhämmern wert.