Berlin - Stettin

Berlin - Stettin

D , 2009

Berlin - Stettin
Min. 110
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Erinnerungen. An die Ostsee der frühesten Kindheit. An das Berlin der Nachkriegsjahre. Spiele mit harmlosen Murmeln, aber da gab es auch das Berlin-Stettin-Spiel auf dem Gehsteig: Ins Leere springen war gut, aber die Linie, das war Stettin, und drauftreten, das bedeutete aus und weg. So beginnt der in Stettin geborene Ost-Berliner Regisseur Volker Koepp sein grandioses Geschichtspanorama, scheut keine Tabus und lässt so viel Verbotenes ansprechen. Gewidmet hat er seinen jüngsten Film seiner Mutter Thea Koepp (1914-2002), und er erspart auch niemandem den Kommentar eines jungen Mädchens von damals, betreffend die Vergewaltigungen durch russische Soldaten: «Die arme Frau Koepp hat es in dieser Nacht einige Male erwischt.» Wie ein freundlicher Seismograf legt Koepp seit Jahrzehnten seine kinematografischen Notizen in die Wunden eines verwundeten Landes. Seine Sensibilität für Leid und Ungerechtigkeit verschaffte ihm viele Feinde, aber auch viele Freundinnen. So dokumentierte er in mehreren Filmen die Lebensläufe der Textilarbeiterinnen von Wittstock. Der Betrieb wurde wegsaniert, existiert nicht mehr, eine ehemalige Meisterin arbeitete dann jahrelang als Putzfrau, zwölf Jahre lebte sie mit einem Mann, der sie schlug, und dennoch sagt sie: «So ist das Leben, schön ist es trotzdem.» Und freut sich, dass es einen Volker gibt, der sie nicht vergessen will und kann. Der beharrlich mitleidet und mit seinen ebenso feinfühligen Kameramännern Thomas Plenert und Christian Lehmann zu retten versucht, was noch zu retten ist. Momente der Hoffnung: der Wind in den Bäumen der Uckermark, die tief hängenden Wolken, kommend von der Ostsee wie melancholische Worte des Dichters Bobrowski. Schließlich Stettin, kein Heimkommen, aber ein Fest mit neu gewonnenen polnischen Freunden. Von fern klingt ein alter Kinderreim nach, der feministischer nicht sein könnte: «Mädchen kommen auf den Ball, Jungen in den Schweinestall.» Volker Koepps persönlichster Film, mutig, traurig, lustig und ungebärdig hoffnungsvoll. Ein seltenes Geschenk, das weh tut und unter Tränen lächelt. (Otto Reiter)

(Text: Viennale 2009)

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