Am Anfang steht ein Umzug, ein Ende und ein Neubeginn: In einer Wohnung voller Kartons in Paris sehen wir Berthold Barluschke zum ersten Mal. Die Familie trennt sich. Seine Frau Joana und seine Kinder beziehen ein Appartement, Bert, wie er genannt wird, ein anderes.
Es gab viele Umzüge im Leben des Bert Barluschke, vom kleinen Dorf Mittenwalde in Brandenburg, wo er 1945 geboren wurde, nach Rostock, von Berlin nach New York, wieder zurück - und sonstwohin. Barluschke war ein sogenannter "Kundschafter" der Deutschen Demokratischen Republik, mit anderen Worten: ein Spion. Als Student der Lateinamerikawissenschaften wird er von der Abteilung "Aufklärung" der Staatssicherheit angeheuert, ausgebildet und erhält eine neue Identität: Knut Damasch heißt er fortan im Ausland, und unter diesem Namen heiratet er 1975 auch Joana in New York.
1980 kehrt er mit Frau und Kind in die DDR zurück, arbeitet vorerst weiterhin als "IM Michael" (Informeller Mitarbeiter) im Außenhandel für die Stasi, wird aber dann von der CIA abgeworben und schließt sich 1987 dem Bundesnachrichtendienst der BRD an. Nach dem Mauerfall gründet er eine Handelsfirma und verschiebt Waffen aus DDR-Beständen. Die Geschichte hat noch kein Ende.
Was auf den ersten Blick auch ein Agentenkrimi sein könnte, ist bei Thomas Heise der Versuch eines Portraits, eine langsame Annäherung an einen Mann, der sich "in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts verlaufen hat in seiner Sehnsucht danach, etwas Besonders zu sein. Ein Mann im Auftrag wechselnder Ideologien, deren Ziele er nicht erinnert. Der, was er für sein Leben hält, zur Legende verklärt" (Thomas Heise).
Der Spion, der Überläufer, der Waffenhändler, der Familienvater, Knut Damasch und "IM Michael" - all das sind Bausteine, Schichten, Schubladen mit Identitäten im Leben des Berthold Barluschke.
Vor der Kamera ist er meist redselig und sympathisch, ein energetischer Lebemann. Oft spricht er von seiner Mutter, nie von seiner Schwester. Die hat mit zwanzig Jahren Selbstmord begangen. "Das Leben ist nichts geworden", sagt Heise in einem Kommentar über sie, "Auf dem Bauernhof in Mittenwalde geht Brigitte Anders in die Küche und dreht den Gashahn auf. Dann ist die Sache für sie vorbei." Die Obhut für Brigittes Sohn wird auf Betreiben Barluschkes seiner Mutter und nicht dem Vater des Jungen zugesprochen. Er verschafft ihr damit den Sohn, den er selbst nicht darstellen konnte.
Heise nähert sich dem Leben und Wesen seines Protagonisten vor allem über Gespräche. Doch Barluschke will nicht so recht Gestalt annehmen. In den Interviews ist er kaum zu fassen, wohl auch, weil er sich selbst nicht mehr zu fassen bekommt. Die Ablenkungsmanöver, von denen er erzählt, sind ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Am nahesten kommt ihm Heise wohl in jenen Momenten, in denen es nicht um ihn selbst und sein Leben geht, sondern dann, wenn er völlig enthusiastisch eine Oper mitdirigiert oder von den Kochkünsten seiner Mutter schwärmt. Doch auch das sind nur die schillernden Bruchstücke einer komplexen Persönlichkeit.
Denn Bert Barluschke kann auch anders sein: Private Videoaufnahmen zeigen einen Mann, der herrisch und pedantisch ist, der die eigene Familie mit Psychospielchen tyrannisiert. Er demütigt seine Frau und seine Kinder und nimmt alles auf Video auf - auch seine eitlen, selbstmitleidigen Rechtfertigungsreden.
"Glaubst du, was du sagst, Bert?" fragt Heise am Schluß, als Barluschke von zukünftigen Familienidyllen spricht. Und dieser antwortet: "Ja. Ich weiß das. Das ist keine Frage von glauben." Dann schwarz und der Satz: "Identität ist eine Mythe". Und wir wissen: Rätselhafter könnte der Film nicht enden.
"Der 'Fall Barluschke', der zugleich als Psychodrama wie als politische Allegorie gelesen werden kann, ist ungeheuer spannend, weil Heise seine Figuren nicht offenlegt. Schon die Fakten zu begreifen fällt schwer. Barluschke ist wie ein Knoten, an dessen Enden zwar gezogen wird, der sich aber nie ganz öffnen läßt." (Eva Hohenberger, film-dienst)
Quelle: Kinoreal Länge: 90 min.
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Details
- Regie
- Thomas Heise
- Author
- Thomas Heise