Ein Mann zeichnet sich selbst in Bildern auf, für die Nachwelt, wie er sagt, er dokumentiert Innenleben und Außenansicht seiner selbst, zwischen 1993 und 99, am Sofa im Wohnzimmer, am Schreibtisch, im Fauteuil. Exhibitionistisch posiert er ohne Hemd, und nebenbei liefert er von daheim aus ein erstaunlich schlüssiges Bild vom Leben in Österreich in den 90er Jahren. Peter Haindl - ein Mann über 50, Heimkind, LKW-Fahrer, Krankenträger: Porträt des Arbeiters als einsame Größe.
Die Videokamera Haindls wackelt eingangs mit suchendem Blick durch die Wohnung, in Zooms und Unschärfen führt er seinem anonymen Zuschauer stolz den "Riesenfernseher", die Küche mit Mikrowelle und das Schlafzimmer vor, alles im Detail, versteht sich. "Acht Fetzen" habe etwa die Matratze gekostet, aber die Investition habe sich schon gelohnt. Die Stimme aus dem Off leitet durchs Schmuckkasterl, wo alles paßt, alles im Lot ist. Das "Gartl" rückt ins Bild, ein "Zimmerl" und ein "Viecherl" nach dem anderen, und wenn er von sich selbst spricht, nennt sich der Filmemacher "Peterl". Das Diminutiv macht die Welt überschaubar und die Komplikationen des Lebens erträglich.
Der Hausbegehung folgt das Selbstporträt: Peter Haindl nimmt Platz und beginnt mit der Kamera (also sich selbst) zu sprechen, geht mit dem Leben an sich und schonungslos auch mit dem eigenen ins Gericht. Er plaudert und flucht, raunzt und politisiert, rezitiert mit Hemingway-Hut selbstverfaßte Lyrik, und später singt er, zunehmend erregt, die alte Ballade von Unseren Steuergeldern und Zu vielen Ausländern. Die Stirn sorgenvoll in Falten gelegt steigert sich Haindl in Sexismus und Rassismus hinein: Ein echter Wiener geht vielleicht nicht unter, aber wirklich wohl fühlt er sich offensichtlich nicht in seiner Haut und seiner Stadt.
Die Kamera ersetzt ihm den Spiegel, den Text, den er für seine Videoaufzeichnungen findet, könnte man ungekürzt, ohne jegliche Nachbearbeitung, auch als dramatischen Monolog auf die Bühne stellen. Qualtingers Herr Karl ist Wirklichkeit geworden. Peter Haindls Aufzeichnungen - gesichtet und montiert von Rainer Frimmel - sind, wenn man sie als Film nimmt, die logische Weiterführung bestimmter thematischer Vorlieben im österreichischen Kino, einer seit Jahrzehnten im Bau befindlichen Austro-Folklore in Film, Funk und Fernsehen: die Reinkarnation des Edmund Sackbauer, eine bittere Extension der Prolo-Etüden des Harald Sicheritz, eine Erweiterung der Hausdurchsuchungen des Ulrich Seidl. Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre beschreibt den extremsten Punkt, an den Österreichs Film stoßen kann, jenen Punkt nämlich, an dem aus dem Spiel mit Charme und Abgrund des Kleinbürgers endgültig Ernst wird.
(Stefan Grissemann)
Kaufen & Leihen
Leider konnten wir keine Streaming-Angebote für Aufzeichnungen aus dem Tiefparterre finden.
Details
- Regie
- Rainer Frimmel