"Aufbruch zum Mond": Mit einem Kinoticket ins All
Nachdem sich Damien Chazelle bisher durch die zwei außergewöhnlichen Musikfilme „Whiplash“ und „La La Land“ einen Namen gemacht hat, betritt er nun filmisches Neuland und beweist, dass er auch etwas vom Sound der Raketentriebwerke versteht. Sein Lieblingsdarsteller Ryan Gosling verwandelt sich in Neil Armstrong und es wird für uns nachvollziehbar, wie unendlich viele kleine Schritte nötig waren, bevor dieser Mann endlich seinen Fuß auf die Mondoberfläche setzen konnte.
Learning by Dying
Man kann nur immer wieder darüber staunen, wozu der menschliche Geist fähig ist, wenn es darum geht, scheinbar unüberwindliche Schwierigkeiten zu bewältigen. Zunächst werden die künftigen Astronauten im Training extremen körperlichen Belastungen ausgesetzt (und danach kotzen sie sich die Seele aus dem Leib); sie müssen aber auch geistig fit sein - allein das erste Kapitel in ihren Lehrunterlagen umfasst bereits über 600 Seiten. Doch all die Mühen lohnen sich und endlich schwebt eine Raumkapsel zu Harfenklängen im Orbit, um erstmals ein Andockmanöver durchzuführen. Nicht immer geht es so harmonisch zu: mehrfach treten unerwartete Probleme auf, und das NASA-Projekt fordert in den 1960er-Jahren einige Todesopfer.
Astronaut und Familienvater
Obwohl hier eigentlich die Technik eine Hauptrolle spielt, bietet das Filmpaar Ryan Gosling und Claire Foy absolut oscar-reife Leistungen. Während Buzz Aldrin (Corey Stoll) gerne große Sprüche klopft und immer für einen Scherz zu haben ist, bleibt Armstrong eher der introvertierte Typ, der seine Gefühle gerne für sich behält - auch seiner eigenen Familie gegenüber. Die Filmhandlung wechselt ständig zwischen Armstrongs Berufs- und Privatleben hin und her, um zu zeigen, wie Ehefrau und Kinder damit umgehen, wenn der Mann im Haus so hoch hinaus will und täglich sein Leben aufs Spiel setzt. Der Hausfrau bleibt hingegen die Kindererziehung überlassen und sie darf von der Erde aus mitverfolgen, ob es Neil noch einmal schaffen wird, die weite Reise heil zu überstehen. Dennoch kann sie im richtigen Moment auch sehr deutliche Worte sprechen, und Armstrong regelrecht dazu zwingen, von seinen beiden Söhnen Abschied zu nehmen. In einem entscheidenden Moment kommen Berufs- und Privatsphäre dann zusammen: Vor seiner Bewerbung zum Raumfahrtprojekt musste Armstrong mit einem schweren familiären Verlust fertig werden und nachdem er den Mond betreten hat, entnimmt er nicht nur Bodenproben, sondern hat eine sehr intime Gabe mitgebracht, die er dem All anvertraut. Auch als Ehetherapie eignet sich so eine Mondexpedition sehr gut: nach Armstrongs Rückkehr ist er zwar zunächst von seiner Frau durch eine dicke Glaswand getrennt, doch das Paar war einander seit vielen Jahren nicht mehr so nahe.
Protest
Raumfahrtskritische und ablehnende Stimmen werde ebenfalls nicht verschwiegen: Politiker hinterfragen den Nutzen der ins Projekt investierten Unsummen, der Autor Kurt Vonnegut hält dagegen, dass er das Geld lieber für ein lebenswerteres New York ausgegeben hätte, und ein schwarzer Jugendlicher singt einen Protestsong, in dem er das triste Leben seiner sozialen Klasse mit dem Erfolg des "weißen Mannes auf dem Mond" vergleicht. Damien Chazelle kann man hingegen keine Geldverschwendung vorwerfen, denn immerhin dürfte die Apollo 11-Mission doch ein wenig teurer als dieser Film gewesen sein.
Ich-Perspektive
Mit "Aufbruch zum Mond" ist der Regisseur in der Hollywood-Liga weiter aufgestiegen und hat gezeigt, dass er auch einem anspruchsvollen Projekt von diesen Dimensionen locker gewachsen ist. Die Kamera bleibt immer ganz nahe an den Figuren und wechselt oft direkt in die Ich-Perspektive. Dadurch fällt es uns umso leichter, sozusagen am eigenen Leib nachzuvollziehen, was es bedeutet, in eine enge Raumkapsel zu klettern (um es vorwegzunehmen: es wirkt, als würde man sich lebendig in einem Stahlsarg begraben lassen), und das Gerüttel und Geschüttel durch die Raketenkräfte überträgt sich auch auf uns.
Wer diesen Film noch dazu in einem IMAX-Saal gesehen hat, kann mit ziemlichem Recht behaupten, selber auf dem Mond gewesen zu sein. Und Skeptiker werden sagen: "Wir haben ja schon immer gewusst, dass die Mondlandung in einem Filmstudio inszeniert wurde."
5 von 5 abgesprengten Raketenstufen
franco schedl