Filmkritiken

WO DIE LIEBE NICHT HINFÄLLT

Als Rama Burshteins Liebesdrama eines ultraorthodoxen Mädchens auf dem Filmfestival von Venedig 2012 gezeigt wurde, löste es eine kleine Sensation aus. So ungewöhnlich erschien sowohl die Regisseurin – eine Filmemacherin, die mit 25 dem chassidischen Judentum beigetreten war – als auch ihr Lob der arrangierten Heirat.

Gespalten fielen auch die Reaktionen aus. Was den einen als Verherrlichung rückschrittlicher Traditionen aufstieß, begeisterte die anderen als ein intimer Blick in eine weitgehend unbekannte Welt. Tatsächlich liegen sowohl die Stärken wie auch die Schwächen von Burshteins zärtlichem Coming-of-Age-Film in ihrer Innigkeit mit der jüdischen Religion und den daraus entstehenden Lebenskonsequenzen.

Gleich zu Beginn gehen die 18-jährige Shira und ihre Mutter einen Mann „shoppen“: Im Supermarkt soll Shira erstmals einen Blick auf den ihr zugedachten Bräutigam werfen. Sofort ist sie verliebt und in heller Vorfreude.

Doch dann bricht das Unglück über die Familie herein: Shiras Schwester stirbt bei der Geburt ihres Sohnes – und die Familie wünscht, dass die widerstrebende Shira den verwitweten Schwager heiratet und dessen Kind aufzieht.

Burshtein entfaltet die Seelennot des jungen Mädchens in einer in sich geschlossenen Welt der Innenräume. Nur einmal dringt kurz Musik von den Straßen Tel Avivs ins Wohnzimmer, dann wird sofort das Fenster geschlossen. Es gibt kein relevantes Außen zu Familie und Gemeinde. Die feierlichen Rituale, die Gesänge der Männer und der Platz der Frauen in der zweiten Reihe: Burshtein legt immer wieder einen sanften Schleier über ihre Bilder, einen Weichzeichner, der die von ihr erzählte Welt in erbauliche Schönheit taucht. Ohne je die Richtigkeit angestammter Regeln anzuzweifeln, macht sie aber auch deren inhärente Demütigungen spürbar – vor allem für die unverheirateten Frauen, die als Mangelwesen angesehen werden.

Ähnlich einer Jane-Austen-Heldin kämpft sich Shira durch ihre Liebesqual. Dass der verschmähte Schwager in Wahrheit der bestaussehende Mann im Raum ist, muss sie erst noch erkennen. So gesehen wird eine sehr affirmative Lektion erteilt, in der die Alten letztlich alles besser wissen und die Entsagung des eigenen Lebenstraums als gute Entscheidung übrig bleibt.

Aber ganz so einfach macht es sich Rama Burshtein bei aller Religiosität dann doch wieder nicht. Gerade das Schlussbild offenbart nicht den Eindruck einer glücklichen Braut, sondern vielmehr den einer jungen Frau, die ins Eck gedrängt wurde.

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