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"Wien vor der Nacht": Interview mit Robert Bober

Ich treffe Robert Bober im 2. Bezirk im Hotel Stefanie, das auch als Drehort zu seiner neusten Doku "Wien vor der Nacht" gedient hat. Mein Französisch ist genauso schlecht wie sein Deutsch, weshalb bis zur Ankunft des Dolmetschers unsere Gestik und Mimik ein wesentlicher Bestandteil der Kommunikation ist. Als der Übersetzer ankommt, frage ich Bober ob ich das Gespräch, um es leichter transkribieren zu können, mit dem Mobiltelefon aufzeichnen darf, was er mir gestattet und sich gleich über die meine erste Frage freut. Die meisten würden ihn aufnehmen, ohne zu fragen, das gefällt ihm nicht, er würde ja auch niemanden ohne dessen Einverständnis filmen. Er ist mir jetzt schon sympathisch.

Ihre Doku beschäftigt sich mit Wien vor der NS-Zeit. Viele Filme thematisieren die Zeit zwischen 1938 und 1945, woher kam der Drang die Zeit davor zu erzählen?

Ich habe vor 51 Jahren eine Doku über die jiddische Sprache gedreht und bin im Zuge der Recherche auf Fotos von meinem Urgroßvater gestoßen. Damals wusste ich natürlich nicht, dass ich heute diesen Film machen würde, aber durch die Bilder im Haus, war mein Urgroßvater immer omnipräsent. Ich wollte nicht dezidiert einen Film über meinen Urgroßvater machen, aber dadurch, dass ich selbst Opa wurde, hat mich das Thema von selbst gefunden.

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Ihr Film beginnt mit einem Ausschnitt von Max Ophüls Film „Der Reigen“, in dem Adolf Wohlbrück sagt: „Ich vergöttere die Vergangenheit, denn die ist soviel beruhigender als die Gegenwart und so viel sicherer als die Zukunft“. Wieso dieser Anfang?

Mir wurde abgeraten den Film so zu beginnen. Man hat mir gesagt, dass Leute den Saal verlassen würden, wenn sie auf einmal glaubten, in einem Film von Max Ophüls zu sitzen, doch ein Publikum, das bei einem Max Ophüls-Film den Saal verlässt, möchte ich sowieso nicht haben (lacht). Ich habe „Der Reigen“ von Ophüls bestimmt 30 Mal gesehen, er ist ein Filmemacher, der mir sehr nahe ist. Dieses Zitat war die Grundlage für meinen Film, deshalb hielt ich es für richtig, es gleich an den Anfang zu setzen.

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Hatte die heutige politische Lage einen Einfluss auf Ihren Zugang zum Thema?

Ich beschäftige mich natürlich mit der heutigen Politik, aber ich hatte die Idee zum Film vor acht Jahren, bevor es den Rechtsruck in Europa gab. Als ich die Geschichte meines Urgroßvaters recherchiert habe, kam ich nicht drum herum, auch die Geschichte der damals in Wien lebenden Autoren zu erzählen.

Ihr Film erzählt sehr literarisch, hatten Sie zuerst den Text oder die Bilder im Kopf?

Joseph Roth, Arthur Schnitzler, Stefan Zweig und Franz Kafka waren die Ersten, die mir in den Sinn kamen. Ihre Bücher über Wien und den Antisemitismus haben mich sehr geprägt. Für mich waren drei Themenfelder sehr wichtig: Das Leben meines Urgroßvaters, der Nationalsozialismus und die Autoren der damaligen Zeit. Alle diese Themen sind miteinander verbunden, greifen ineinander und sind für mich untrennbar. Mir war es wichtig einen fließenden Übergang herzustellen, um ein Bild dieser Stadt vor dem 2. Weltkrieg zu zeichnen.

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Wie ist Ihre Beziehung zu Wien und Österreich heute? Kommen Sie gerne hierher?

Ich spaziere gerne durch Wien, ich fühle mich mit den Straßen und Plätzen sehr verbunden. Das Ergebnis der letzten Nationalratswahl fand ich jedoch sehr besorgniserregend, vor allem die Zuteilung des Außen- und Innenministeriums halte ich für bedenklich. Mich freut es, dass die Menschen eine Reaktion zu solchen Entwicklungen zeigen und auf eine herannahende Gefahr reagieren.

Sehen Sie der Zukunft eher optimistisch oder pessimistisch entgegen?

Es kann natürlich auch an meinem Alter liegen, aber ich bin gegenüber der Zukunft eher pessimistisch eingestellt. Ich glaube jedoch, dass die Menschen durch den Pessimismus aufgerüttelt werden können und leichter bereit sind zu handeln. Als Kind musste ich in der Schule einen Judenstern tragen und wurde oft als dreckiger Jude beschimpft, doch habe mich immer gegen diese Attacken gewehrt. Ich denke, dass es unmöglich ist, in der Gegenwart zu leben, ohne die Vergangenheit zu kennen. Die Vergangenheit spendet das Licht für die Gegenwart, das uns in die Zukunft führt.

Özgür Anil