Filmkritiken

VOM SCHÖNEN SCHEIN ENTTÄUSCHT

Vor zwölf Jahren hat Wolfgang Becker zu Lenin publikumswirksam „Good Bye“ gesagt - seither gab es keinen weiteren Spielfilm mehr von ihm. Dürfen wir also Daniel Kehlmann dankbar dafür sein, dass er durch seine Kultursatire „Ich und Kaminski“ Beckers Kreativität wieder beflügelt hat? Warten wir’s ab!

Zunächst zur Handlung: Sebastian Zöllner, ein selbstgefälliger Kunstkritiker, will durch ein neues Projekt endlich zu Ruhm und ans große Geld gelangen. Er plant die Biographie eines mittlerweile fast vergessenen blinden Malers und letzten lebenden Vertreters der Klassischen Moderne. Zielstrebig drängt sich Zöllner nun skrupellos ins Leben des 85jährigen Manuel Kaminski und dringt zu dessen abgeschottetem Alpendomizil vor. Bald motiviert er den gebrechlichen Alten sogar zu einer gemeinsamen Reise auf den Spuren der Vergangenheit. Doch allmählich erkennt er, dass ihm sein biografisches Objekt an Gewitztheit in nichts nachsteht (sogar dessen Blindheit könnte nur vorgetäuscht sein).

Daniel Brühl überzeugt als Charakterschwein der Extraklasse, seine Wandlung zum besorgten Zeitgenossen nimmt man ihm aber nicht wirklich ab - dafür sind fast alle Figuren viel zu schablonenhaft und man würde ihnen eine Entwicklungsmöglichkeit gar nicht zutrauen. Auch von anderer Seite macht sich ein Mangel bemerkbar: Sobald Kaminski endlich seiner gealterten Jugendliebe gegenübersitzt, ist bestimmt nicht nur er desillusioniert, denn Geraldine Chaplin wirkt in dieser Rolle völlig fehl am Platz. Was natürlich auch daran liegen könnte, dass alle Schauspieler deutsch reden, auch wenn das nicht ihre Muttersprache ist. Bei manchen klingt das beinahe so, als hätten sie bloße Lautfolgen auswendig gelernt und würden einen Text, den sie selber nicht verstehen, aufsagen.

Österreichische Gäste sind in dieser internationalen Produktion übrigens ebenfalls vertreten: gleich zu Beginn fällt Joseph Hader als Zugschaffner einer von Zöllners kurzen tödlichen Rachephantasien zum Opfer; außerdem absolviert Karl Markovics einen skurrilen Miniaturauftritt als Komponistenzwilling (was das genau bedeuten soll, lässt sich mit Worten schwer wiedergeben - man muss ihn in dieser Doppelrolle einfach gesehen haben!) Die Figur des Malers ist im Erscheinungsbild zweifellos dem blinden Jorge Luis Borges nachempfunden – aber eigentlich könnte der dänische Darsteller Jesper Christensen genauso gut in der Maske des „Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ stecken.

Damit wäre auch eines der Hauptprobleme des Films angesprochen. Trotz seiner künstlerischen Thematik und ernsten Problemen - wie die Gnadenlosigkeit des Alterns und verpasste Lebenschancen - haftet dem Werk leider oft etwas penetrant Künstliches an: hier wurden alle Oberflächen auf Hochglanz poliert, um darüber hinwegzutäuschen, wie wenig sich womöglich darunter verbirgt. Wolfgang Becker hat vermutlich die meiste Vorbereitungszeit ins Kostümieren der Darsteller und Ausschmücken der Settings investiert. So ist penibel dafür gesorgt, dass auf jedem Schauplatz die passenden Bilder an den Wänden hängen – besonders ein weißbärtiger alter Beilträger und ein fideler Hase brennen sich dank enormem Kitschwert förmlich in unser Gedächtnis ein. Auch die Filmbilder werden immer wieder in Malereien transformiert, um die jeweiligen Kapitel zu eröffnen (insofern wurde die Buchstruktur beibehalten), und der Abspann treibt ein hochartifizielles Schau-Spiel quer durch die Malstile der Moderne - während der Vorspann eine Fake-Doku in „Zelig“-Manier bereithält. Schon klar: wir befinden uns eben in einer Welt des schönen Scheins und der Täuschungen, was aber gerade Enttäuschungen nicht ausschließt. 6 1/2 von 10 blindlings hingetippten Filmpunkten.

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